Rios Bewohner verlieren ihr Heim Olympias erste Verlierer

Rio De Janeiro · Das Großereignis Olympia 2016 kostet Tausende Bewohner ihr Zuhause in Rio de Janeiro. Ein Ortstermin.

 Bauarbeiten im Olympischen Dorf.

Bauarbeiten im Olympischen Dorf.

Foto: dpa, at ks

Im Gemüsegarten von Maria da Penha ist der Widerstand gegen die Olympischen Spiele fast vertrocknet. Es ist nur ein einziger Strauch Tomaten übrig geblieben. Ein mickriges Gestrüpp, aber für da Penha ist es einer der Gründe, warum sie so für diesen Ort kämpft. Denn es zeigt, dass hier etwas wachsen kann, wenn man es lässt. Doch genau das will die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro nicht.

Die Villa Autodromo, die Heimat von da Penha, ist zum Symbol des Widerstands gegen den Gigantismus im Namen der Olympischen Bewegung geworden. Es geht um Maßlosigkeit, Gleichgültigkeit, die Selbstverständlichkeit, mit der das Internationale Olympische Komitee (IOC) sich ausbreitet. In der brasilianischen Politik und in privaten Investoren hat es dankbare Partner gefunden - die können zum Teil längst geplante städtebauliche Entwicklungen zeitnah umsetzen. In Rio gibt es so nur ganze wenige Gewinner und ganz viele Verlierer des größten Sport-Spektakels der Welt.

Ein paar hundert Meter von der Villa Autodromo entfernt, einer von unzähligen illegalen Siedlungen in der Stadt, entsteht ein riesiger Olympia-Park mit Wettkampfstätten für Tennis bis Turmspringen, Hotels und dem internationalen Medienzentrum. So oder so ähnlich haben Tausende Cariocas, so heißen die Bewohner von Rio, ihre Wohnungen verloren. Mit ihnen ist nicht diskutiert worden, sondern sie sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden - mit Bulldozern und Einschüchterungsmaßnahmen.

Das hat in der Regel gut geklappt. Niemand hat nach der Zukunft der Bewohner gefragt. Doch die Bewohner der Villa Autodromo, im Stadtteil Barra rund 40 Kilometer von der Copacabana entfernt, haben sich nicht beirren lassen und sind geblieben.

Polizisten prügelten im vergangenen Jahr auf de Penha und ihre Nachbarn ein, der zierlichen Frau wurde bei den Auseinandersetzungen die Nase gebrochen. Die Bilder von dem Einsatz und der blutüberströmten Frau sind um die Welt gegangen. Es waren mächtige Bilder. Das IOC und die Stadt Rio gegen Menschen am Existenzminimum. "Ich wollte mich nicht wie eine Ware hin und herschieben lassen", sagt sie. "Wir haben Respekt verdient. Die Politik und das IOC können aus dieser Geschichte viel lernen." Von 500 Familien, die dort einst wohnten, haben es aber nur knapp 20 geschafft. Die Verwaltung hat ihnen zugesagt, bis Mitte Juli Ersatzwohnungen zu stellen. Zur Wahrheit gehört auch: Wer gut mit der Verwaltung verhandelt hat, bekam für sein Grundstück bis zu 300.000 Euro. Eigentlich hat das Bauland mehr Wert, aber dass überhaupt Geld geflossen ist, liegt vor allem daran, dass die Behörden nicht weiter schlechte Presse riskieren wollten.

Der Widerstand der Bewohner der Villa Autodromo gehört zu den wenigen Erfolgsgeschichten. Es gibt viel mehr Verlierer. Menschen, die ihre Häuser verloren haben und eben keine angemessene Entschädigung erhielten. Verlierer sind auch die Steuerzahler. Die Olympischen Spiele kosten nach vorsichtigen Schätzungen mehr als zwölf Milliarden Euro. Die Summe dürfte noch deutlich steigen. Die Kosten werden mehrheitlich von der öffentlichen Hand getragen. In einem Land mit Wirtschaftskrise und in einem Bundesstaat Rio de Janeiro, dem zuletzt das Geld fehlte, um die Gehälter seiner Lehrer zu bezahlen und seine Krankenhäuser mit Medikamenten auszustatten.

"Von den neuen Verkehrsstrukturen, den Schnellbustrassen, der viel zu kleinen U-Bahn-Verlängerung und den Straßenbahnen werden natürlich Bewohner dieser Stadt profitieren", sagt Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio. "Das ist gut, aber gemessen an dem, was nötig wäre, zu wenig und zu wenig nachhaltig - die Schnellbusse kommen oft genug nur langsam voran und sind schon heute an der Auslastungsgrenze." Für die bessere Anbindung von Millionen von Menschen in der Metropolregion, der sogenannten Baixa da Fluminense und den Städten São Gonçalo und Niterói auf der anderen Seite der Bucht, wurde praktisch nichts aufgewendet. "Es hat aber langsam ein Umdenken begonnen", sagt Bartelt. "Die brasilianische Bevölkerung war immerhin die erste weltweit, die zu Millionen gegen überteuerte Megaevents auf die Straße ging." Das war 2013 - vor den Olympischen Spielen im August sieht es nicht danach aus, als würden sich die Proteste in der Intensität wiederholen. Brasilien ist aufgrund der undurchsichtigen politischen Lage, verbunden mit der bevorstehenden Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff, viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

(gic)
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