Van Vleuten stürzt schwer "Ich dachte, sie ist tot"

Rio de Janeiro · Der Horror-Sturz von Annemiek van Vleuten raubte Millionen Olympia-Fans an den TV-Schirmen den Atem. Die Niederländerin raste beim Straßenrennen zur Copacabana auf Goldkurs liegend die Abfahrt von der berüchtigten Vista Chinesa hinunter, als plötzlich ihr Hinterrad wegrutschte.

Olympische Sommerspiele: Der schwere Sturz von Annemiek van Vleuten
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Niederländerin van Vleuten stürzt im Straßenrennen schwer

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Van Vleuten stürzte über den Lenker und krachte mit dem Rücken auf die Bordsteinkante. Dort blieb sie zunächst regungslos liegen. "Ich dachte, sie ist tot", sagte die spätere Olympiasiegerin Anna van der Breggen.

Der Sturz war derart furchteinflößend, dass die Szene nicht in Zeitlupe wiederholt wurde. Erst nach bangen Minuten der Ungewissheit kam die zunächst zögerliche Entwarnung: Van Vleuten, teilte der niederländische Chef de Mission Maurits Hendriks mit, habe "nur" einen Schock erlitten und sei ansonsten "okay".

Der TV-Sender NOS berichtete allerdings am Abend, van Vleuten habe eine schwere Gehirnerschütterung sowie drei kleinere Brüche im Lendenwirbelbereich erlitten und müsse die Nacht auf der Intensivstation verbringen. Sie habe keine inneren Blutungen. Der Weltverband UCI hatte kurz zuvor mitgeteilt, van Vleuten sei bei Bewusstsein und ansprechbar.

Am späten Abend brasilianischer Zeit twitterte van Vleuten: "Ich bin jetzt im Krankenhaus mit einigen Verletzungen und Brüchen, aber mir geht's bald wieder gut. Ich bin vor allem super enttäuscht nach dem besten Rennen meiner Karriere." Sie gratulierte außerdem ihrer Teamkollegin zum Sieg. "Wir waren ein super starkes Team."

Olympiasigerin ist geschockt

Während Millionen Fans in aller Welt noch um van Vleuten zitterten, jubelte im Ziel deren Teamkollegin van der Breggen über ihren Triumph. "Ich habe sie liegen gesehen und war sehr geschockt. Ich dachte sogar, sie ist tot", berichtete sie, "aber dann kam Emma Johansson (Silber, d.Red.) und sagte: 'Los, wir machen das für Annemiek!' Das hat mir geholfen, den Schalter umzulegen."

Der Vorfall warf einen Schatten auf das Frauenrennen, nachdem der brutale Kurs - und dieselbe Abfahrt (!) - schon die Männer am Samstag an ihre Grenzen und weit darüber hinaus getrieben hatten.

Simon Geschke lehnte nach dem vielleicht härtesten Straßenrennen der Olympia-Geschichte völlig ausgezehrt an seiner Rennmaschine. Für die beinahe unmenschlichen Anstrengungen fand der Berliner nur ein Wort. "Extrem!", sagte Geschke über einen Ritt, der nicht gnadenloser hätte sein können: "Der Kurs war am Limit, noch schwerer geht eigentlich nicht."

Dramatische Stürze, zerbeulte Räder, schwere Verletzungen: Die erste ganz große Entscheidung der Sommerspiele in Rio de Janeiro bewegte sich in ihren über sechs aufregenden Stunden nahe am Chaos. "Es war Anarchie da draußen", sagte der US-Radprofi Brent Bookwalter, während der Ire Daniel Martin stöhnte: "Das war der härteste Tag meiner Karriere. Es war einfach brutal, brutal!"

Und dieser extreme Tag forderte auf 237,5 km seinen Tribut. Ex-Tour-Sieger Vincenzo Nibali aus Italien riskierte auf Goldkurs liegend alles, stürzte auf der Vista-Chinesa-Abfahrt und brach sich das Schlüsselbein. Sein kolumbianischer Fluchtbegleiter Sergio Henao erlitt eine Beckenfraktur, als er Nibali nicht ausweichen konnte. Der Australier Richie Porte kollidierte mit einem Baum und zog sich einen Bruch des rechten Schulterblattes zu.

"Brutales Ausscheidungsrennen"

Doch es waren nicht nur die Stürze, die das Rennen so denkwürdig machten. Die traumhafte Kulisse rund um Rio war ebenso Teil dessen wie Defekte am Fließband, Spannung bis ins Finale mit dem überraschenden Olympiasieger Greg Van Avermaet. Am Ende erreichten gerade einmal 65 von 144 Startern das Ziel. "Es war ein brutales Ausscheidungsrennen", sagte Geschke.

Für Emanuel Buchmann, als 14. bester und einziger Deutscher im Ziel, war der Kurs ebenfalls außergewöhnlich hart - aber nicht zu gefährlich. Nibalis Sturz kommentierte der 23-Jährige fast schulterzuckend. "Die Abfahrt war bekannt. Es ist die Sache jedes Einzelnen, wie viel Risiko er geht", sagte er, Geschke fand: "Nach sechs Stunden ist man am Limit und trifft nicht mehr so die Ideallinie. Da kann jeder Fehler machen." Auch ein begnadeter Schussfahrer wie der "Hai von Messina" Nibali.

Bei den Frauen verlief das Rennen weit weniger dramatisch - bis van Vleuten stürzte.

(seeg/sid)
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