Sportförderung Medaillenkandidaten in Grundschulen

Der Deutsche Olympische Sportbund soll in jüngeren Altersklassen damit anfangen, nach talentierten Athleten zu suchen. Die Bundesregierung will die Zahl der Olympiastützpunkte reduzieren – NRW könnte zwei verlieren.

Olympia 2016: Marco Koch enttäuscht mit Platz sieben
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Koch setzt Desaster der Schwimmer fort

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Der Deutsche Olympische Sportbund soll in jüngeren Altersklassen damit anfangen, nach talentierten Athleten zu suchen. Die Bundesregierung will die Zahl der Olympiastützpunkte reduzieren — NRW könnte zwei verlieren.

42 Medaillen hat die deutsche Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gewonnen. Sie verfehlte die Vorgabe des Deutschen Olympischen Komitees knapp. Und DOSB-Präsident Alfons Hörmann wies völlig zu Recht darauf hin, dass Medaillen in den Mannschaftssportarten das enttäuschende Ergebnis in Kernsportarten wie dem Schwimmen und der Leichtathletik geschönt haben.

Auch wenn Hörmann vor den Spielen in einem Anfall von weihevoller Sonntagsrede in Zeiten der großen Dopingskandale einem "deutschen Weg von Anstand und Ehrlichkeit" das Wort redete, zählte er am Ende Medaillen und Spitzenplätze. Sie bleiben die Währung im deutschen Sport. Jenseits der Sonntagsrede versprach Hörmann nämlich eine Reform der Sportförderung mit diesem Ziel: "Am Ende muss es so sein, dass die Leistungsstarken und -fähigen von solch einer Reform profitieren. Und bei den Leistungsschwachen müssen wir abwarten, ob sie gewillt sind, zu den Leistungsstarken hinzukommen zu wollen." Das klingt nicht nach freundlichem Breitensport, sondern nach ziemlich harter Auslese.

Die Politik hat sich des Themas angenommen. Unserer Redaktion liegt der Entwurf einer Reform des Spitzensports vor, die der Sportausschuss in Zusammenarbeit mit dem DOSB bis zur Gesetzesvorlage im Bundestag ausbauen will. Zwei Jahre wurde an dem Werk gearbeitet. Kernbotschaft: "Es ist Ziel der Neustrukturierung, den Spitzensport erfolgreicher zu machen und gezielter Erfolgspotenziale für Podiumsplätze zu fördern." Die Zeiten der Förderung nach dem Gießkannenprinzip will der Entwurf beenden. "Mehr Effizienz bedeutet, die vorhandenen Mittel auf die perspektivreichsten Athleten und Disziplinen mit einem Erfolgspotenzial 4-8 Jahre zum Podium zu konzentrieren", heißt es. Das ist die endgültige Absage an das klassische Olympia-Motto "Dabeisein ist alles". Weil Gewinnen längst alles ist, sollen Strukturen professionalisiert, Talentsuche und die Entwicklung erfolgversprechender Sportler nach allen Regeln der Wissenschaft betrieben werden.

So soll eine Expertenkommission ermitteln, welche Disziplinen in den Genuss von Höchstförderung kommen und damit auch die Entscheidung fällen, welche Disziplinen künftig vernachlässigt werden. "Gut aufgestellte Sportarten sollen mit 100 Prozent des Bedarfs gefördert werden", steht im Entwurf. Festgeschrieben werden soll aber auch ein "jährliches Controlling" der "Individualvereinbarung" mit Athleten.

Die Förderung nach Kadern, in die zurzeit die Athleten aufgeteilt sind, soll zwar beibehalten werden, aber der Schwerpunkt soll deutlicher als bis jetzt auf den leistungsstärksten Athleten liegen. Sie werden künftig als "Olympiakader" geführt. Weil es aber offenkundig Schwächen in der Talentsuche gebe "und erhebliche Mängel bei den Rahmentrainingskonzeptionen", regen die Autoren des Entwurfs "sportübergreifende Bewegungs-Checks im Grundschulalter" an. Anders als bei den zweifelhaften Vorbildern in China oder der ehemaligen DDR sollen "Eltern frühzeitig in diesen Prozess eingebunden und die Daten aus den Bewegungs-Checks unter Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen an kooperierende Vereine und Stützpunkttrainer weitergegeben werden". Ähnlich wie in anderen Zusammenhängen, in denen die deutsche Politik "kein Kind zurücklassen" wollte, soll kein Talent mehr übersehen werden.

Mit der Talentermittlung ist es natürlich nicht getan, auch die Entwicklung und das Training erfordern nach Ansicht der Autoren des Entwurfs "Optimierung". Das heißt unter anderem Konzentration auf weniger Stützpunkte unter einer "zentralen Steuerung durch den DOSB. Um zukünftig den perspektivreichsten Sportlern Trainingsstätten auf Weltklasseniveau bieten zu können, ist es erforderlich, zu einer Konzentration und einer damit einhergehenden Reduzierung der Standorte zu gelangen". Im Klartext: Bis zu 20 Prozent der Bundesstützpunkte sollen wegfallen und die Zahl der Olympiastützpunkte von 19 auf 13 gesenkt werden. Nordrhein-Westfalen würde dann zwei Olympiastützpunkte verlieren.

Zu den Kosten macht der Entwurf vorsichtshalber keine Angaben. Fest steht, dass zurzeit vom Bundesinnenminister pro Jahr 153 Millionen Euro über den DOSB an den Spitzensport ausgeschüttet werden. Und fest steht auch, dass die Stiftung Deutsche Sporthilfe erfolgreiche Olympiateilnehmer belohnt. Für Goldmedaillen gibt es 20.000, für Silber 15.000, für Bronze 10.000 Euro. Platz vier bringt 5000, Platz fünf 4000 und Platz sechs 3000, Platz sieben 2000 und Platz acht 1500 Euro — unabhängig von der Kaderförderung.

Ob die ausreichend für ein sorgenfreies Leben als Spitzensportler ist, steht dahin. Bis zum Widerruf hält sich bei den Athleten der Eindruck, dass sie neben dem alles in den Schatten stellenden Fußball gesellschaftlich nicht unbedingt anerkannt sind. Der ehemalige Weltklasseschwimmer Markus Deibler sagte in Rio: "In einem Land, in dem ein Olympiasieger 20.000 Euro Prämie bekommt und ein Dschungelkönig 150.000 Euro, sollte sich niemand über fehlende Medaillen wundern."

Im Sportausschuss ist man gespannt auf den Vortrag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Sein Ministerium hat in den vergangenen 24 Monaten mit dem DOSB an dem Papier gearbeitet — ohne die Politik mit einzubeziehen. "Es war sicherlich nicht besonders glücklich, den Bundestag bislang völlig außen vorzulassen", sagt Matthias Schmidt (SPD). "Es gibt noch sehr viele ungeklärte Fragen. Wollen wir uns wirklich nur noch bei der Förderung auf Sportarten konzentrieren, bei denen wir uns Chancen auf Medaillen ausrechnen? Welche Wirkung hätte so etwas auf den Breitensport? Darüber muss jetzt diskutiert werden." Schmidt präferiert eine Grundunterstützung für alle Sportarten mit der Möglichkeit, Disziplinen mit besonders großem Potenzial noch mehr zu fördern.

Und auch die Grünen haben noch ein paar Fragen. "Die Reform der Spitzensportförderung ist längst überfällig. Welches sind die so genannten Attribute, nach denen Sportarten und Disziplinen auf ihr Potenzial hin bewertet werden sollen?", fragt Özcan Mutlu, sportpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. "Wie soll gewährleistet werden, dass Bewertungsentscheidungen tatsächlich unabhängig sind? Wer entscheidet auf Basis welcher Kriterien, welche Bundes- und Olympiastützpunkte geschlossen werden? Transparenz und Beteiligung tut bitter Not, im Interesse des deutschen Sports — und vor allem der Sportler."

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