IOC sperrt Stepanowa aus Kein Schlupfloch für die Kronzeugin

Düsseldorf · Als Whistleblowerin hat Julia Stepanowa entscheidenden Anteil an der Aufdeckung des russischen Dopingskandals. Belohnt wurde sie dafür nicht. Seit Monaten lebt sie versteckt, fühlt sich verfolgt. Und in Rio darf sie, anders als andere russische Athleten, nicht starten.

Julia Stepanowa muss verletzt aufgeben
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Stepanowa muss verletzt aufgeben

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Zusammen mit ihrem Mann Witali Stepanow hatte Stepanowa geholfen, das flächendeckende Dopingsystem in der russischen Leichtathletik zu enthüllen. Nachdem sie mit ihren Aussagen in der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping" Russlands Leichtathletik schockiert hatten, war das Ehepaar Stepanow mit seinem kleinen Sohn aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen staatlicher Institutionen in die USA geflohen, wo sie heute an einem geheimen Ort leben. Durch den sogenannten McLaren-Bericht wurde Russland mittlerweile Staatsdoping nachgewiesen. Auch dank Stepanowa.

Für die Olympischen Spiele in Rio (5. bis 21. August), an denen russische Leichtathleten nicht teilnehmen dürfen, hatte die Mittelstrecken-Läuferin deshalb auf eine Ausnahmeregel gehofft. Und mit ihr zahlreiche Athleten. "Es wäre ein Super-Signal, wenn sie bei Olympia starten könnte. Dann würden wir diese große Tat belohnt sehen", hatte der deutsche Diskus-Olympiasieger Robert Harting schon vor Wochen gesagt. Doch die Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Stepanowa darf nicht unter neutraler Flagge antreten.

Russland bei Olympia 2016 in Rio: Die Pressestimmen zur IOC-Entscheidung
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Die Pressestimmen zur IOC-Entscheidung

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Die Leichtathletin bezeichnete den Entschluss des IOC in einem Statement als "unfair". Die Entscheidung, sie trotz all ihrer Verdienste um die Aufklärung des russischen Dopingskandals nicht in Brasilien laufen zu lassen, würde auf "falschen und unwahren Aussagen" basieren.

Stepanowa wird Doping-Vergangenheit zum Verhängnis

Die Begründung des Internationalen Olympischen Komitees für diese Entscheidung: Stepanowas Doping-Vergangenheit. Zwar "begrüßt die Ethikkommission Stepanowas Beitrag zum Anti-Doping-Kampf", da sie aber selbst mindestens fünf Jahre Teil des Systems gewesen sei, "erfüllt sie nicht die ethischen Anforderungen an einen olympischen Athleten", hieß es in einer Erklärung. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), äußerte Zustimmung für den IOC-Entschluss: "Sie hat selbst klar gegen die Regeln verstoßen. Insofern verstehe ich, dass das IOC sagt, eine russische Athletin mit Doping-Vergangenheit kann nicht starten."

Reaktionen zur IOC-Entscheidung im Fall Russland
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In der Tat war Stepanowa 2011 wegen Auffälligkeiten in ihrem biologischen Pass und später eingestandenem Blutdoping für zwei Jahre gesperrt worden. Doch Kritiker glauben nicht, dass das der Grund für ihr Startverbot ist. Das ist "ganz klar eine Lex Julia Stepanowa, die Whistleblowerin will man dort nicht laufen sehen", sagte Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Sie verwies darauf, dass die Begründung des IOC dem Code der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA widerspreche: "Da muss man sich nur die Osaka-Regel durchlesen."

Stepanowa sei "innerhalb eines staatlich gelenkten Systems zum Doping gezwungen worden", sagte IOC-Ehrenmitglied Walther Tröger dem SID. Zudem habe die Leichtathletin "wahnsinnig viel auf sich genommen, was man viel mehr hätte berücksichtigen müssen".

Stepanowa betonte am Montag zudem, sie hätte es nie abgelehnt, als Teil des russischen Teams anzutreten - sondern die Athleten wollten nicht im gleichen Team wie die 30-Jährige starten. "Wenn das Russische Olympische Komitee gesagt hätte, es würde mich unterstützen und mich gerne in seinem Team haben, hätte ich das akzeptiert. Ich wollte nie jemandem schaden, sondern den Sport sauberer machen", sagte Stepanowa. "Ich bin nicht gegen die russischen Athleten, ich unterstütze sie vom ganzen Herzen. Sie tun mir leid, dass sie Teil dieses Systems sind."

Drama bei der EM

Anfang Juli war Stepanowa bei der Europameisterschaft in Amsterdam unter der Flagge des Europäischen Leichtathletik-Verbandes gelaufen. Sportlich wurde ihr Auftritt zum Drama. Stepanowa, die längst nicht mehr an ihre früheren Bestzeiten über 800 Meter herankommt, musste verletzt aufgeben. Doch es war ein Auftritt mit Symbolcharakter, der angesichts des Olympia-Ausschlusses aber ohne Wert zu sein scheint.

Das Signal der Stepanowa-Aussperrung ist verheerend: Es werden nicht nur russische Sportler in Rio starten, sondern auch Dopingsünder aus aller Herren Länder, die ihre Sperre abgesessen haben. Die Kronzeugin Stepanowa allerdings, die in den Augen vieler Sportfans dank ihrer Aufklärung einen Start verdient gehabt hätte, ist nicht aktiv dabei. In Russland gilt Stepanowa als Verräterin. Dass ihr der Start verweigert wird, während anderen russischen Sportlern Schlupflöcher gelassen werden, ist ein weiteres Entgegenkommen des IOC an Russland. Wladimir Putin wird die Entscheidung mindestens mit Genugtuung aufgenommen haben.

"Hier hat das IOC die Chance verpasst, ein Zeichen zu setzen", sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes DLV bei "Sky Sport News HD". Für die Einladung, die das IOC an Stepanowa und ihren Mann aussprach, hat Prokop kein Verständnis: "Ich denke nicht, dass das Ehepaar Stepanowa vorhatte, als Touristen nach Rio zu reisen."

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hatte im Juni die Sperre der russischen Athleten verlängert, zugleich die Hintertür für im Ausland lebende Russen und vor allem für Whistleblowerin Stepanowa geöffnet, wie die IAAF ausdrücklich betonte. Doch das IOC hat eine andere Sicht der Dinge. Und so darf in Rio lediglich die seit Jahren in den USA lebende Weitspringerin Darja Klischina antreten.

WADA über Signalwirkung besorgt

Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA reagierte betroffen auf die Entscheidung des IOC. "Die WADA hat Julias Bestreben, in Rio laufen zu dürfen, stets sehr engagiert unterstützt", sagte Generalsekretär Olivier Niggli. Stepanowa habe mit viel Mut "den größten Dopingskandal der Geschichte aufgedeckt". Die Botschaft, die ihr Startverbot an alle Whistleblower der Zukunft aussende, "bereitet der WADA große Sorgen".

In Russland wurde das Startverbot dagegen gefeiert. "Sie sollte lebenslang gesperrt werden. Ich verstehe die Aufregung um einen Menschen, der gedopt hat und dafür bestraft wurde, überhaupt nicht", sagte die russische Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa der Agentur R-Sport. "Sie zu einer Heldin zu machen, damit spuckt man uns ins Gesicht. Deshalb ist es richtig, sie nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen zu lassen", sagte die 34-Jährige in Moskau. "Zumindest eine weise Entscheidung wurde in der Leichtathletik getroffen." Das dürfte der Großteil der Athleten außerhalb Russlands komplett anders sehen.

(areh)
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