Jungs Gold-Pferd Sam Nur das Gras in Rio schmeckte Deutschlands Olympia-Star nicht

Düsseldorf/Rio · Im Gelände springt er über alles, was sich ihm in den Weg stellt. In der Dressur hat er manchmal seinen eigenen Kopf. Und beim Gras ist er ein absoluter Feinschmecker. Ach ja, und dreifacher Olympiasieger ist Wallach Sam jetzt auch.

 Michael Jung uns Sam verstehen sich auch, wenn der Reiter nicht im Sattel sitzt.

Michael Jung uns Sam verstehen sich auch, wenn der Reiter nicht im Sattel sitzt.

Foto: ap

Der Ruhm war eigentlich für ein anderes Pferd vorgesehen. Michael Jung hatte ursprünglich Wallach Takinou dazu auserkoren, ihn in Rio zum Olympiasieg zu tragen. Doch ein Zeckenbiss verhinderte Takinous Olympiateilnahme. Und so wiederholte sich die Geschichte: Jung und Sam, das war schon vor vier Jahren bei den Olympischen Spielen in London ein unschlagbares Team. In Rio de Janeiro gab es für das Duo nun Gold im Einzel und Silber mit der Mannschaft.

Stolze 16 Jahre ist Sam mittlerweile alt. Da darf man schonmal mit dem Ruhestand liebäugeln."Vielleicht, ja, vielleicht war es das. Vielleicht aber auch nicht, wir warten mal ab, was sich so entwickelt", sagte sein Reiter auf die Frage, ob der anstrengende Wettkampf Sams letztes großes Turnier gewesen sei. Sam selbst verzichtete aus verständlichen Gründen auf eine offizielle Stellungnahme. Möglicherweise war er in Gedanken auch schon wieder auf dem Rückflug nach Hause. "Jetzt soll er erstmal in Ruhe wieder auf seine Koppel im Schwarzwald, da wird er sich sehr freuen, er mag nämlich das Gras hier nicht so gerne", verriet Jung.

Erinnerungen an Halla

Wie groß der Einfluss des Reiters und wie groß der des Pferdes bei so einem Wettkampf ist, darüber rätseln viele Fernsehzuschauer, die sich abseits der Olympischen Spiele kaum mit dem Pferdesport beschäftigen. Bei den Sommerspielen alle vier Jahre zieht es sie dann aber immer wieder vor den Fernseher. 4,44 Millionen verfolgten im ZDF den Gold-Ritt von Jung und Sam. Schließlich gelten die deutschen Reiter und ihre Pferde als Medaillen-Garanten. Und dann erinnert man sich an die Geschichten, die man über die Wunderstute Halla gehört hat, die ihren verletzten Reiter Hans Günter Winkler, der sich vor Schmerzen kaum auf dem Pferd halten konnte, 1956 in Stockholm zu Gold im Springreiten trug.

Fakt ist: Jung wäre auch mit Takinou der große Favorit auf Gold gewesen. Mit dem neunjährigen Wallach gewann Jung zuletzt beim CHIO in Aachen. Auch Europameister wurde das Duo. Jung gilt als bester Reiter der Welt. In der Vielseitigkeit führt er seine Tiere in den drei verschiedenen Disziplinen Dressur, Gelände und Springreiten regelmäßig zu Höchstleistungen. Auch mit Halunke und Rocana hat er schon Titel eingesammelt. Doch ohne ein absolutes Toppferd unter dem Sattel wäre natürlich auch Jung kein Medaillenkandidat. "Für mich ist Sam das Wunderpferd, auf alle Fälle, er ist von Anfang an bei mir im Stall und wie ein Familienmitglied. Er ist unverkäuflich", sagte Jung nach dem Doppel-Gold von London 2012.

Jedes Tier hat seine Stärken und Schwächen. Takinou sei vielleicht "ein kleines bisschen besser in der Dressur" als Sam, hatte Jung vor den Spielen in Rio gesagt, als klar war, dass Takinou nicht rechtzeitig fit werden würde. Doch schon da hatte Jung die Qualitäten von Sam hervorgehoben: "Er ist in unzähligen großen Wettbewerben gegangen, mit ihm habe ich in London zweimal Gold gewonnen, wir beide kennen uns in- und auswendig, da mache ich mir absolut keine Sorgen."

Patzer in der Dressur, dann kein einziger Fehler mehr

Jungs Einschätzung sollte sich bestätigen. In der Dressur leistete sich das Traumpaar des Reitsports einen Patzer. "Das war ein Missverständnis zwischen Sam und mir", sagte Jung über die Szene, als Sam beim Außengalopp plötzlich in den fliegenden Wechsel drängte und er ihn durchparieren musste. Schon im Gelände zeigte Sam dann aber wieder seine ganze Klasse und arbeitete sich gemeinsam mit seinem Reiter von Platz fünf auf Platz zwei vor. "Sam hatte viel Druck von den Zuschauern und aus den Lautsprechern", sagte Jung. Deshalb habe er anfangs "fast zu viel gewollt, er ist losgaloppiert wie die Hölle". Unter dem Strich sei der Wallach "ein unglaubliches Pferd. Er galoppiert so kraftvoll, und er springt halt einfach alles. Im Ziel war er immer noch voller Energie und Dynamik." "Sam-sationell", rief ARD-Kommentator Carsten Sostmeier ins Mikrofon und lag damit, anders als an anderer Stelle, goldrichtig.

Dass für Pferd im Leistungssport stolze Alter ließ Sam sich in Rio zu keiner Sekunde anmerken. Ganz im Gegenteil. Auch am letzten Tag flog er in den beiden Springen – erst Mannschaft und dann Einzel – über die Hindernisse im Parcours, leistete sich beide Male keinen einzigen Abwurf. "Er will immer das Beste geben. Das ist einfach phänomenal", sagte Jung, der nach dem Olympiasieg fast ein wenig sentimental wurde. "Für mich ist es etwas besonderes, das mit Sam nochmal zu schaffen", sagte er.

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Bei der Siegerehrung hielt der Hochgelobte sich dann wie die anderen Pferde im Hintergrund. Mit Medaillen behangen werden die Reiter, nicht die Pferde, denen Edelmetall ohnehin deutlich weniger bedeuten dürfte, als das ein oder andere Leckerli zur Belohnung.

(areh)
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