Olympia 2016 Das Warten auf die Medaille – jedes Mal ein bisschen länger

Düsseldorf/Rio de Janeiro · Drei Tage Olympia und noch keine deutsche Medaille – das gab es seit der Wiedervereinigung noch nie. Das erste Edelmetall wird kommen, wahrscheinlich schon heute. Doch der DOSB-Chef sagt schon jetzt: "Wir haben im Weltsport ein Niveau, das wir in zahlreichen Verbänden nicht mehr vollumfänglich mitgehen können."

Die ersten deutschen Medaillengewinner bei Sommerspielen
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Die Zwischenbilanz von Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB, fällt ernüchternd aus. "Der Start ist nicht so, wie wir uns das gewünscht haben, alles andere wäre schöngeredet", sagte Hörmann der dpa, nachdem sich auch die Medaillenhoffnungen am dritten Wettkampftag nicht erfüllt hatten. Schwimmer Paul Biedermann musste sich in seinem letzten Einzelrennen bei Olympia über 200 Meter Freistil mit Platz sechs begnügen. Die Wasserspringer Patrick Hausding und Sascha Klein landeten im Synchronwettbewerb vom Turm nach einem spannenden Wettkampf auf dem undankbaren vierten Platz.

Das Gute an Olympia ist: Man verpasst nachts keine deutschen Medaillen.

— Thomas Nowag (@Dagobert95) 9. August 2016In Deutschland wird man sich auf das Warten auf Edelmetall gewöhnen müssen. So lange wie in Rio de Janeiro dauerte es seit der Wiedervereinigung noch nie, doch der Trend ist eindeutig. Denn dasselbe musste sich schon vor vier Jahren in London feststellen lassen, als Fechterin Britta Heidemann erst am dritten Tag die Medaillen-Flaute beendete. In Peking 2008 klappte es durch die Wasserspringerinnen Heike Fischer und Ditte Kotzian an Tag zwei. Bei den Sommerspielen zuvor konnten dagegen solche Diskussionen über die erste Medaille gar nicht erst aufkommen. Zwischen 1992 und 2004 holte das deutsche Team bereits am ersten Tag Edelmetall.

Der deutsche Chef de Mission Michael Vesper versuchte es bei seiner Sicht der Dinge mit der "Glas halbvoll"-Variante. "Wir wussten von Anfang an, dass wir gerade an den ersten Tagen nur wenige ernsthafte Chancen haben", sagte er. "Deshalb lassen wir uns jetzt nicht verrückt machen. Noch haben wir 13 Wettkampftage. Jeden Tag geht die Sonne wieder auf." Hörmann klang in seinem Zweckoptimismus weniger überzeugend: "Bleibt nur die Hoffnung auf die kommenden Tage, da möchte ich uns allen raten, Geduld aufzubringen. Solche Dinge können sich im Sport manchmal schnell verändern."

Die deutschen Sportler verfehlten bislang zwar kein fest eingeplantes Edelmetall, doch die Summe der verpassten Chancen und Fehlschläge auch in Vorkämpfen oder K.o.-Runden trüben die Stimmung. Vor allem im Schwimmen, neben der Leichtathletik die olympische Kernsportart, konnte kaum ein Deutscher an seine Bestzeiten heranschwimmen. Passenderweise schied am Montag dann auch noch Fahnenträger Timo Boll aus dem Tischtennis-Turnier aus. Auch für ihn gilt: Mit einer Einzelmedaille war gerade ob der schweren Auslosung nicht zu rechnen, das Aus im Achtelfinale gegen den Nigerianer Quadri Aruna kam dann aber doch überraschend.

Gute Medaillenchancen am Dienstag

Olympia 2016: Paul Biedermann enttäuscht mit Platz sechs
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Biedermann enttäuscht mit Platz sechs

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Gut möglich, dass sich die Medaillen-Bilanz der Deutschen schon am Dienstag verändert. Vielseitigkeitsreiter Michael Jung ist mit seinem Pferd Sam nach zwei von drei Wettkampfteilen als Zweiter klar auf Medaillenkurs, die Mannschaft liegt vor dem Springen auf Platz vier und darf ebenfalls noch auf Edelmetall hoffen. Doch selbst hier ist das Bild getrübt: Das angestrebte Gold in der Mannschaft haben die Vielseitigkeitsreiter selbst schon abgeschrieben.

Den emotionalen Höhepunkt des Tages könnte es aber beim Kanu-Slalom geben, wo der Augsburger Sideris Tasiadis als Vorlauf-Schnellster um Gold kämpft. Der Silbermedaillen-Gewinner von London hat im vergangenen Jahr seine Freundin verloren. Im Herbst 2013 wurde bei Claudia Bär, wie der Augsburger im Kanuslalom aktiv, Leukämie diagnostiziert. Nach einer Lungenentzündung starb die zweimalige Europameisterin am 28. September 2015. "Ich bin mit der ganzen Geschichte erst zurechtgekommen, wenn ich viel trainiert habe", sagte Tasiadis zuletzt der FAZ.

Sportlich präsentiert sich der Sohn griechischer Einwanderer derzeit so stark wie nie. Nach seinem Vorlaufsieg wird der Gold-Anwärter als letzter Halbfinal-Starter auf die Strecke gehen und will im Finale der besten zehn Paddler die jahrelange Arbeit krönen. "Er ist so gut drauf, dass er es zum Olympiasieger schaffen kann", urteilte der deutsche Verbandschef Thomas Konietzko.

Olympia 2016: Andreas Toba feuert deutsche Turner an
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Verletzter Toba feuert deutsche Turner an

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Das alles ändert aber nichts daran, dass Deutschland im internationalen Sport nicht mehr die einstige, große Rolle spielt. Bei den ersten Sommerspielen seit der Wiedervereinigung reichte es in Barcelona im Medaillenspiegel zu Platz drei. Eine solche Platzierung ist mittlerweile utopisch. "Ich denke, das Ergebnis von Rio wird uns noch mal eindrucksvoll vor Augen führen, dass es höchste Zeit ist, die Dinge anzugehen und nicht weiter nur drüber zu reden", sagte Hörmann. Er befürchte, "dass wir einfach dieses Mal nochmals eindrucksvoll sehen werden, wohin sich der Weltsport entwickelt".

Eine Entwicklung, die Deutschland mit der aktuellen Sportförderung offenbar nicht mehr mitgehen kann, wie Diskus-Olympiasieger Robert Harting meint. "Ist das Geld richtig verteilt? Wird richtig geführt? Kommen die Investitionen sinnvoll bei den Sportlern an? Was das betrifft, glaube ich, sind wir nicht mehr Weltspitze", sagte der Berliner der Tageszeitung "Die Welt": "Viele andere Länder machen es schneller, besser."

Hörmann hatte mit dem Fehlstart wohl schon gerechnet, als er vor der Eröffnungsfeier erklärte, dass es weniger um "die absolute Zahl von Medaillen", sondern wieder mehr um Charakter, Herzblut und Leidenschaft" gehe. Diese Zielvorgabe immerhin wurde schon erfüllt. Turner Andreas Toba, der trotz eines Kreuzbandrisses im Teamwettkampf noch zu seiner Übung am Pferd antrat, beeindruckte die Zuschauer. Einige wollen ihn sogar als Sportler des Jahres sehen – und das ganz ohne Medaille.

(areh)
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