Deutsches Schwimm-Debakel in Rio Weit weg von der Bestform

Rio De Janeiro · Die deutschen Schwimmer zeigen beim Saisonhöhepunkt allesamt nicht ihre beste Leistung. Erklärungen fallen schwer.

Olympia 2016: Marco Koch enttäuscht mit Platz sieben
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Koch setzt Desaster der Schwimmer fort

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Foto: dpa, kno

Davon hatten nur kühnste Optimisten zu träumen gewagt. Ein Olympiasieger über 200 Meter Brust. Ein neuer Nationalheld in Badehose. Einer, der einem Land Hoffnung macht, das im Schwimmen mit vorderen Plätzen nicht gerade gesegnet ist - Kasachstan. Ja, Kasachstan, nein, es ist nicht die Geschichte von Marco Koch, die sich der Deutsche Schwimmverband (DSV) in derselben Erzählweise an diesem Abend in Barra so sehr gewünscht hatte. Doch beim Olympiasieg vom Kasachen Dmitri Balandin wurde Weltmeister Koch nur Siebter, und mit ihm schlug die letzte der drei großen deutschen Medaillenhoffnungen neben Paul Biedermann und Franziska Hentke ohne Edelmetall am Beckenrand an. Vier Jahre, nachdem Deutschland in London ohne Medaille die schlechteste Bilanz seit 80 Jahren eingefahren hatte, steht man nun vor einem ähnlichen Debakel.

"Das war leider nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es ging einfach nicht so", sagte Koch mit betretener Miene, nachdem er sich noch lange Momente nach Rennende am Rand festgehalten hatte. Grübeln statt Jubeln, Schluchzen statt Strahlen - es sind die Paradedisziplinen der deutschen Schwimmer im olympischen Becken von Rio. Im November hatte Bundestrainer Henning Lambertz im Interview mit unserer Redaktion noch gesagt: "Die Vorgabe von zwei bis vier Medaillen ist realistisch." Nun müssen er und der am Jahresende ausscheidende Leistungssportdirektor Lutz Buschkow einmal mehr erklären, wie sie das deutsche Schwimmen wieder auf höchstem Niveau konkurrenzfähig machen wollen. Die naheliegende Forderung sprach Lambertz dann auch gleich als erste aus: die nach mehr Fördergeldern. "So kann es nicht weitergehen", sagte er. "Für Deutschland wäre es ein Leichtes, den Betrag zu erhöhen, wenn man das wirklich wollen würde", betont Lambertz schon seit längerem.

Doch so ist es eben weiter das traurige Lied, das die Schwimmer schon seit vielen Jahren singen, wenn sie den Blick hinüber zu den führenden Nationen richten. In die USA oder nach Australien, wo Talente mit finanziell lukrativen Förderprogrammen ausgestattet werden, oder nach China und Russland, wo zentralistische Trimm-Programme aus einer Riesenbevölkerung die Besten herausfiltern. Beide Systemansätze sind in Deutschland undenkbar, und zudem befinden sich der DSV und seine Athleten in einem weiteren Dilemma: Einerseits sollen Medaillen und Bestleistungen her, andererseits sollen die Deutschen Vorreiter des sauberen Sports sein. Das mute in der Realität zuweilen bigott an, ist hinter vorgehaltener Hand immer mal wieder zu hören. Die von DOSB-Präsident Alfons Hörmann zu Beginn der Spiele formulierte Forderung nach der moralischen Integrität der deutschen Athleten, sie lässt sich - nicht nur im Schwimmen - immer schwieriger mit Medaillenvorgaben verbinden.

Nach den enttäuschenden Spielen von 2012 hatte Lambertz erste Weichenstellungen vorgenommen, eine Perspektivauswahl im Nachwuchsbereich aufgebaut, den Top-Athleten mehr individuelle Freiheiten gegeben, ein Eliteteam ins Leben gerufen. Doch ohne Rio-Erfolge dürfte auch diese Marschroute schon wieder auf dem Prüfstand stehen, denn aus dem Fernziel Tokio 2020 sind plötzlich die nächsten Olympischen Spiele geworden. Der 45-Jährige weiß am besten, dass die Zeit drängt, dass neue Ideen hermüssen. Welche auch immer. Denn nachgedacht haben sie im DSV ja eigentlich schon nach London eine ganze Menge. "Auch ich muss mich ja hinterfragen und will auf keinen Fall die Schuld von mir weisen", sagte Lambertz in Rio.

Doch was alles fehlende Geld, alle überlegene Konkurrenz am Ende nicht zu erklären vermag, ist die Tatsache, warum viele deutsche Schwimmer hier in Barra einmal mehr nicht in der Lage waren, zum absoluten Saisonhöhepunkt ihre beste Leistung abzurufen. "Ich war eigentlich in Topform", klagte Schmetterlingsschwimmerin Hentke, die als Zweitschnellste der Welt nach Rio gereist war und dann im Halbfinale ausschied. "Was mich traurig macht, ist, dass ich dieses Jahr schon dreimal schneller war. Es ärgert mich einfach, dass ich hier nicht mein Bestes zeigen konnte", haderte auch Koch, seines Zeichens ja immerhin Weltmeister des Vorjahres. Auch der Darmstädter war mit der zweitschnellsten Zeit des Jahres im Gepäck nach Rio geflogen. Alles wertlos am Ende. "Auf dem Silbertablett wird uns die Medaille präsentiert, aber wir wollen sie nicht. Wir nehmen die Finger wieder weg und greifen nicht zu", schimpfte Lambertz.

Dafür greifen andere zu. So wie Balandin, der Kasache, der die Geschichte schrieb, die Marco Koch so gern geschrieben hätte.

(klü)
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