Platz zwei im Medaillenspiegel Großbritannien verteilt mit kühler Effizienz Millionen

London · In Großbritannien sorgt Rio de Janeiro für Karneval. So viele olympische Medaillen wie seit hundert Jahren nicht mehr, Platz zwei im Medaillenspiegel - Athleten und Öffentlichkeit freuen sich über den "größten Erfolg der britischen Sportgeschichte", wie die Leiterin der zuständigen Behörde UK Sport, Liz Nicholl, sagt.

 67 Medaillen holten die britischen Athleten in Rio.

67 Medaillen holten die britischen Athleten in Rio.

Foto: afp

Zur Begründung für den unverhofften Erfolg verweisen Fachleute auf gezielte, geradezu darwinistisch anmutende Förderung medaillenträchtiger Athleten - und auf die Nachwirkung der olympischen Gastgeberrolle vor vier Jahren. Konservative Medien wollen jetzt den Goldrausch auf die Politik übertragen: Premierministerin Theresa May solle sich für die Brexit-Verhandlungen die patriotische Begeisterung zu eigen machen.

Angefeuert von der unkritischen Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen BBC schwelgten die Briten sechzehn Tage lang in den Erfolgen ihrer Athleten. 48 Medaillen hatte der britische Olympiaverband (BOA) vorab als Ziel ausgegeben, am Ende lag die Zahl bei 67, zwei mehr als beim letzten Mal und deutlich mehr als vergleichbare Industrienationen wie Deutschland, Frankreich und Japan holten. Vier Jahre nach den Spielen im heimatlichen London zog "Team GB" damit an China vorbei und belegte hinter den USA Platz zwei der Nationenwertung.

"Keine Kompromisse" - mit diesen beiden Worten begründen Sportfunktionäre wie Nicholl den Erfolg der Athleten. Traditionell waren die Briten, jenseits der Mannschaftssportarten Cricket, Rugby und Fußball, eher als Heimstatt begeisterter Amateure und exzentrischer Einzelgänger bekannt. Die Wende brachte vor zwanzig Jahren die ernüchternde Bilanz von Atlanta: Damals gewannen britische Athleten lediglich 15 Medaillen, darunter eine einzige goldene, und landeten auf dem kläglichen 36. Platz des Medaillenspiegels, gleich hinter Kasachstan.

Gezielte Förderung

Nicht genug, fand der damalige Premier John Major und sorgte für die gezielte Förderung zukünftiger Olympiasieger. Aus Mitteln der Nationalen Lotterie, von Kritikern als "Deppensteuer" bezeichnet, sind in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten Hunderte von Millionen Pfund in die Kasse von UK Sport geflossen, der zentralen Agentur für Leistungssport. Nachfolgende Regierungen hielten Majors Kurs. Seit einigen Jahren wird der jährliche Lotteriebetrag um etwa ein Drittel vom Staat aufgestockt. Über die vergangenen vier Jahre kamen auf diese Weise umgerechnet 402 Millionen Euro zusammen.

Die Verteilung der Gelder erfolgt mit kühler Effizienz. Goldgruben wie Radfahren, Rudern und Reiten werden mit Zuschüssen überschüttet, aussichtslose Teams wie Britanniens Basketballer und Volleyballer bekommen keinen Penny. Ziemlich genau die Hälfte des Etats kam Ruderern, Radfahrern und der Leichtathletik zugute, gefolgt von Segeln, Schwimmen und Kanufahren sowie Reiten. Allein in diesen Sportarten holten die Briten gut die Hälfte ihrer Medaillen, darunter 18 goldene.

Dass beispielsweise Basketball sich gerade bei der ärmeren Bevölkerung und ethnischen Minderheiten hoher Beliebtheit erfreut und olympische Vorbilder Ansporn sein könnten, wen kümmert's? Der Spitzensport ist fest in der Hand von überwiegend weißen Mittel- und Oberschichtangehörigen. Unter 58 Olympiasiegern waren zwei Schwarze: Der Leichtathlet Mo Farah (5000 und 10.000 Meter) und die Boxerin Nicola Adams.

Wenn bestimmte Sportarten die Erwartungen nicht erfüllen, wird der Geldhahn zugedreht. So geschah es neben Basketball im Januar 2014 auch den Orchideen-Disziplinen Wasserpolo und Synchronschwimmen. Schießen, Schwimmen und Judo wurden in die Kategorie "Risiko und Chance" gesteckt - angemessener wäre "allerletzte Chance" gewesen. "Wir mussten unsere Investitionen in bestimmten Bereichen vergrößern", berichtet Simon Timson von UK Sport, weshalb andere Disziplinen wegfielen.

Ist die Medaillenflut von Rio in Wirklichkeit aber nur ein Überbleibsel des Erfolges in der Heimat? Manches spricht dafür. Australien beispielsweise belegte sowohl in Sydney 2000 wie vier Jahre später in Athen den vierten Platz im Medaillenspiegel, war in London aber auf Platz zehn abgerutscht - die gleiche Position wie jetzt in Rio. Über den langfristigen Erfolg der britischen Förderung lässt sich also frühestens in vier Jahren urteilen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort