Sperre gegen russische Athleten "Sport ist Krieg ohne Schießen"

Düsseldorf · Der Spruch des Schriftstellers George Orwell ist aktuell wie lange nicht mehr. Womöglich finden die Olympischen Spiele dieses Jahr ganz ohne die Russen statt.

Russische Leichtathleten von Olympia 2016 ausgeschlossen: Reaktionen
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Foto: ap, AZ IS

Mit George Orwell haben sich Generationen von Schülern herumgeschlagen. Nicht nur in der britischen Heimat des Autors. Die "Farm der Tiere" wollte interpretiert werden und vor allem "1984", das im Veröffentlichungsjahr 1948 utopisch wirkende Buch über einen Überwachungsstaat, dessen Voraussagen freilich von der Wirklichkeit längst um Längen überholt wurden. Doch Orwell hat auch andere kluge Dinge veröffentlicht. Zum Beispiel diesen Satz: "Ernsthafter Sport hat nichts mit Fairplay zu tun. Er ist aufgeladen mit Hass, Eifersucht, Prahlerei, Missachtung von Regeln und sadistischem Vergnügen an Gewalt. In anderen Worte, Sport ist Krieg ohne Schießen." Orwell war ein großer Visionär. Das Zitat hat nichts an Aktualität verloren.

Seit den 1980er Jahren, als sich Ost und West zuletzt in den Stadien duellierten, hat es im Weltsport nicht mehr so sehr nach Kaltem Krieg gerochen wie jetzt, da der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) die russischen Läufer, Springer und Werfer von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen hat und Forderungen laut werden, den Bann auf alle Sportarten auszuweiten. Das bisweilen überstrapazierte Wort "sporthistorisch" hat in diesem Zusammenhang seine Berechtigung. 1984 hatten die Athleten aus der Sowjetunion und die aus zahlreichen verbündeten Ländern bei den Spielen in Los Angeles gefehlt. Doch damals war der Verzicht freiwillig: als Reaktion auf den Boykott der Spiele 1980 durch die meisten Staaten des Westens. Der wiederum war eine Reaktion auf den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan.

Russischer Dopingsumpf: eine Chronologie
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Foto: dpa, mr nic sup gfh

Die IAAF hatte am Freitag die im November verhängte Sperre gegen die Russen verlängert. Die Welt-Antidoping-Agentur Wada hatte in Wladimir Putins Reich keine substanzielle Verbesserung im Kampf gegen Doping feststellen können. Voraussichtlich am 15. Juli wird die Wada einen weiteren Untersuchungsbericht vorlegen. Dann geht es um die Vorwürfe des in die USA geflohenen ehemaligen Leiters des Moskauer Antidoping-Labors, Grigori Rodschenkow. Der sieht im Kreml den Drahtzieher hinter dem Dopingprogramm, das angeblich bei den Winterspielen 2014 in Sotschi auf die Spitze getrieben worden war. Die Regierung zieht sich auf die vor allem aus dem Radsport bekannte Einzeltäter-These zurück, nach der es nur einzelne schwarze Schafe gäbe, nicht aber groß angelegtes, systematisches Doping.

Morgen treffen sich am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees in Lausanne Vertreter wesentlicher olympischer Sportarten. Sie werden beratschlagen, ob auch Vertreter anderer Disziplinen von den Spielen in Rio ausgeschlossen werden. Unter besonderer Beobachtung stehen zum Beispiel die Schwimmer und die Vertreter der Kraftsportarten.

Der in Fragen der internationalen Sportpolitik selten forsch auftretende Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gibt sich in der Frage des Generalausschlusses zurückhaltend. DOSB-Vorstandschef Michael Vesper erklärte, dass "es für eine Ausweitung dieses Schritts auf sämtliche Sportarten derzeit keine hinreichende Grundlage in Form von Beweisen gibt" und "bloße Vermutungen und Verdächtigungen da nicht ausreichen können".

Russland will Größe und Stärke demonstrieren

Die Bedeutung, die Putin dem Sport beimisst, erinnert an die in der DDR. Das Land will auf der globalen Bühne Größe und Stärke demonstrieren. Das ausgeklügelte und menschenverachtende Dopingprogramm der DDR brachte Olympiasieger und Weltrekordler noch und nöcher hervor, verschliss aber "Diplomaten in Trainingsanzügen" in Scharen. Die Folgen des Systems werden durch schwere Erkrankungen und Todesfälle heute deutlicher als je zuvor. Alles geschah (und geschieht heute in Russland) zu Ruhm und Ehre des Staates und seiner obersten Würdenträger.

Zur nach den Winterspielen in Sotschi nächsten großen Leistungsschau Russlands sollte die Fußball- Weltmeisterschaft in zwei Jahren werden. Angesichts des begründeten Generalverdachts gegen den russischen Spitzensport und der Hooligan-Krawalle in Marseille und auf der Kölner Domplatte wurden Stimmen laut, den Russen das Turnier zu entziehen. Englands Verbandschef Greg Dyke geht allerdings fest davon aus, dass die WM 2018 wie geplant in Russland stattfinden wird. "Man kann nicht ganz Russland zur Rechenschaft ziehen, weil ein paar organisierte Schlägertypen gemeinsam für Chaos gesorgt haben", sagte Dyke der BBC.

Auch an einem anderen Fall wurde an diesem Wochenende die, oftmals verhängnisvolle Verbindung zwischen Sport und Politik deutlich. Der Bundesstaat Rio de Janeiro hat wegen einer Finanzlücke von fünf Milliarden Euro den Notstand erklärt und die Zentralregierung um Unterstützung gebeten, damit die noch fehlenden Infrastruktureinrichtungen bis zum Beginn der Olympischen Spiele Anfang August fertiggestellt werden können.

Interessant wäre es, wenn gerade jetzt in Deutschland eine Abstimmung über eine Olympia-Bewerbung stattfinden würde. Am 29. November 2015 waren in Hamburg 48,4 Prozent der Wähler dafür und 51,6 Prozent dagegen. Angesichts der Vorfälle in Russland (auch Mexiko und Kenia stehen unter schwerstem Verdacht der Wada) und der Finanzprobleme in Rio de Janeiro würde die Ablehnung heute wohl deutlicher ausfallen.

(bei)
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