Ehepaar deckte Doping-Skandal auf Whistleblower Witali Stepanow: "Wir bereuen gar nichts"

Köln · Die Leichtathletin Julia Stepanowa und ihr Mann Witali, ein ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA, haben als Whistleblower mit versteckter Kamera den Doping-Skandal in Russland ins Rollen gebracht.

 Julia Stepanowa (gebürtige Rusanowa) und ihr Mann deckten die Doping-Praktiken in Russland auf.

Julia Stepanowa (gebürtige Rusanowa) und ihr Mann deckten die Doping-Praktiken in Russland auf.

Foto: dpa

Der ARD-Reporter Hajo Seppelt, dessen daraus resultierende Dokumentation die Sportwelt in ihren Grundfesten erschütterte, bezeichnet die beiden Russen als "bedeutendste Whistleblower der Sportgeschichte". Die neuen Enthüllungen, die die unabhängige WADA-Kommission am Donnerstag in München vorstellen wird, gehen auf die Stepanows zurück.

Im Interview mit dem sid erzählt Witali Stepanow über das Leben seiner Familie nach der mutigen Tat - an einem geheimen Ort fernab der Heimat, ständig beschimpft und bedroht, ohne festes Einkommen, aber mit viel Hoffnung.

"Herr Stepanow, wie häufig sind Sie umgezogen, seit Sie und Ihre Frau sich entschlossen haben, in Ihrer Heimat Russland gegen Doping zu kämpfen?"

Witali Stepanow: "Acht Mal."

"Wurden Sie bedroht?"

Stepanow: "Wir versuchen, jeglichen direkten Konflikt zu vermeiden. In der russischen Internet-Gemeinde sind wir viele Male als Verräter oder Bastarde beschimpft worden. Jemand schrieb sogar ein Gedicht, in dem stand, dass Gott unseren Sohn dafür bestrafen werde, dass er Eltern wie uns hat. Ich verstehe natürlich, dass Meinungsfreiheit herrscht, aber der Autor des Gedichts (Maxim Karamaschew, d. Red.) will gerade neuer Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes werden. Also: Uns werden viel Hass und verbale Aggression entgegengebracht."

"Sie leben an einem geheimen Ort. Wieso bewerten Sie Ihre Situation als derart bedrohlich, dass Sie keine Details über Ihren Aufenthaltsort preisgeben?"

Stepanow: "Ich habe dem russischen Sportminister (Witali Mutko, d. Red.) und dem russischen Leichtathletik-Verband meine Hilfe angeboten, um den russischen Sport zu säubern. Ich habe keine Antwort erhalten. Stattdessen lese ich immer wieder viele Lügen, die von Sportfunktionären und Politikern verbreitet werden, was unsere Motivation betrifft. Diese Leute bedrohen meine Frau öffentlich über die Medien. Ich wäre ein Idiot, wenn ich meine Familie vor solchen Leuten nicht schützen würde."

"Sie mussten Ihr Heimatland verlassen. Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie und Ihren Freunden? Haben Sie überhaupt noch Freunde?"

Stepanow: "Von Zeit zu Zeit haben wir Kontakt zu unserer Familie. Sie wissen also, dass wir sicher sind, sie wissen aber nicht, wo wir sind. Wir haben Menschen in Deutschland und anderen Ländern kennengelernt, sie sind jetzt unsere neuen Freunde. Sie helfen uns auf vielen verschiedenen Wegen."

"Sie und Ihre Frau sind arbeitslos. Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?"

Stepanow: "Einige Leute helfen uns mit Spenden. Wir sind sehr dankbar dafür, durch die Spenden können wir ein bescheidenes Leben führen. Ich hoffe aber, dass ich Geld durch ehrliche Arbeit verdienen kann. Ich suche einen Job, wenn möglich im Sport oder noch besser: in der Anti-Doping-Welt."

"Haben Sie das, was Ihre Aktivitäten und die Ausstrahlung der ARD-Dokumentation ausgelöst haben, erwartet? Oder war das jenseits Ihrer Vorstellungskraft?"

Stepanow: "Wir hatten gehofft, dass es gewisse Auswirkungen auf die Leichtathletik haben würde, bis zu einem gewissen Grad. Aber die weltweiten Reaktionen kamen für uns unerwartet. Wir hoffen, dass unser Beitrag hilft, die Leichtathletik sauberer zu machen."

"Haben Sie mittlerweile eine Reaktion vom Leichtathletik-Weltverband und dessen Präsidenten Sebastian Coe oder vom Internationalen Olympischen Komitee mit dem Präsidenten Thomas Bach erhalten?"

Stepanow: "Nein, bislang gab es keine Reaktion von Sebastian Coe oder Thomas Bach. Ich habe aber gestern Folgendes gelesen: Die IAAF begrüßt den Mut von Whistleblowern (einschließlich der eigenen Mitarbeiter), die geholfen haben, das im Bericht der unabhängigen WADA-Kommission beschriebene Fehlverhalten aufzudecken."

"Wieso, glauben Sie, treten keine hochrangigen Funktionäre persönlich an Sie heran?"

Stepanow: "Das weiß ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass diese Leute andere Dinge zu tun haben als mit einer kleinen Familie aus Russland zu sprechen."

"Was muss passieren, damit Sie Ihr Leben, das Ihrer Frau Julia und Ihres Sohnes Robert als normal bezeichnen können?"

Stepanow: "Hoffentlich wird meine Frau irgendwann wieder starten dürfen. Und mein Sohn geht in den Kindergarten, und ich habe einen Job."

"Was ist Ihre Antwort, wenn Sie sich die Frage stellen: War es das wert? Sind Sie noch immer stolz darauf, was Sie getan haben, oder sind Sie mittlerweile auch ein wenig verbittert?"

Stepanow: "Nein, wir bereuen gar nichts. Ich glaube, wir haben das Richtige getan. Und wenn es nötig ist, würden wir dasselbe noch einmal tun. Wir wollen einen dopingfreien Sport ohne korrupte Funktionäre."

"Was muss passieren, damit Whistleblower im Sport nicht mehr in die Situation kommen, in der Sie und Ihre Familie sich befinden?"

Stepanow: "Wir werden sehen, was mit uns noch passiert. Einige Menschen wollen uns gerade helfen. Das ist wirklich eindrucksvoll und herzerwärmend. Aber generell ist es wohl schwierig für Whistleblower im Sport, denn ein Programm, das Zeugen unterstützt, gibt es bislang nicht. Jeder muss wissen, dass es Leute gibt, die es nicht schätzen werden, wenn andere Menschen die Wahrheit sagen. Und dass man ein Risiko eingeht, wenn man es trotzdem tut."

(old/sid)
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