DFB-Sportdirektor Hansi Flick "Der Pass ist Kommunikation"

Köln · DFB-Sportdirektor Hansi Flick will die Nationalteams mit fußballerischen Leitlinien auf Kurs halten.

Hansi Flick: Ex-Bundestrainer, Champions-League-Sieger, Weltmeister - Fotos
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Das ist Hansi Flick

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Foto: dpa/Federico Gambarini

An der Kölner Kaygasse rauscht nicht gerade das Großstadtleben. Im Außenbereich des Agrippabads planschen ein paar Schwimmer, um die Ecke wirbt eine reichlich angestaubte "Kölscheria" um Abendkundschaft, an der alten Mauer trinken zwei Bauarbeiter ihr Feierabendbier. Und an einer Häuserwand verrät eine Steintafel: "He an dem Plätzge stund en steinahl Schull, wo gerechned wohd: Dreimol null is null."

Gegenüber steht noch der alte Wasserturm, der zu einem Hotel umgebaut wurde. Drinnen sitzt der DFB-Sportdirektor Hansi Flick. Auch er redet über die Schule, die Schule des Lebens, in die sogar ein 51-Jähriger noch geht. "Was mir an meiner Position gefällt, ist, dass man jeden Tag dazulernt", sagt er.

Viele Erfahrungen sind neu für ihn, der den größten Teil seines Lebens auf dem Fußballplatz verbracht hat, als Spieler beim BSC Mückenloch vor 45 Jahren, als Profi bei Bayern München und beim 1. FC Köln, als Trainer in Hoffenheim, als Assistent von Jogi Löw in der Nationalmannschaft. 2014 nach dem WM-Triumph wurde er Sportdirektor, und manchmal fehlt ihm noch die Nähe zum Wettkampf, "vor allem, wenn es jetzt doch wieder auf ein großes Turnier zugeht". Große Spiele verlieren ihren Reiz nicht. "Vor den großen Spielen", sagt Flick, "war ich immer besonders ruhig, weil ich wusste, wir sind gut vorbereitet." Der Blick wandert ein wenig versonnen zur Decke.

Aber er kehrt schnell in die Gegenwart zurück, zur Nationalmannschaft bei der EM in Frankreich. Da wird Flick seriös, ganz Sportdirektor. "Das Team wird wie immer sehr gut vorbereitet ins Turnier gehen", versichert er, "und Deutschland wird auf jeden Fall um den Titel mitspielen. Schauen Sie mal auf unsere Spieler, die kommen alle aus den Topvereinen Europas."

Sie sind eine Visitenkarte für das Ausbildungssystem. "Man betrachtet die eigenen Teams immer kritisch", sagt Flick, "und es gibt ja immer etwas zu verbessern. Aber im Ausland bestätigen sie uns: Ihr habt tolle Mannschaften. Das ist ein Verdienst der Vereine, die in den Nachwuchsleistungszentren großartige Arbeit leisten."

Dafür kann er sich begeistern, der sonst eher stille Kerl. Dann sprudelt es aus ihm heraus: "Wir wollen die Spieler entwickeln, sie sollen sich entfalten innerhalb eines Rahmens, den wir vorgeben. Wir brauchen Spieler, die innerhalb gewisser Leitplanken frei sind und in jedem System die richtige Entscheidung treffen. Und wir wollen natürlich Titel." Flick weiß, dass das ehrgeizig ist. "Aber es geht ja am Ende darum, eine herausragende Nationalmannschaft zu haben."

Die Nachwuchsteams geben ihm Anlass zur Hoffnung, dass die A-Mannschaft selbst nach dem Abgang großer Fußballer nicht ins Bodenlose fällt. "Wie haben sehr interessante Spieler - zum Beispiel in der U17, die Ende März in Düsseldorf und Ratingen spielen wird. Vielleicht ist ja der neue Philipp Lahm dabei. Es lohnt sich jedenfalls, die Mannschaft anzuschauen", sagt der Sportdirektor. Er selbst hat es mehrmals getan, auch im Trainingslager. Und er bemüht sich, alle Teams unter der A-Mannschaft regelmäßig zu beobachten. Schließlich ist es sein Job, den großen DFB-Plan ständig neu zu schreiben.

Selbstverständlich schaut er sich um, vor kurzem war er in den USA und war sehr beeindruckt von der Detailarbeit der Footballteams. Er kennt wissenschaftliche Modelle, Matchpläne, Spielsysteme. Er hat allerdings bei einer Reise mit dem U-23-Coach Horst Hrubesch, den niemand mit einem Laptoptrainer verwechseln wird, eine bemerkenswerte Feststellung gemacht: "Er hat mir erzählt, dass es all das, worüber wir heute reden, schon vor 40 Jahren gegeben hat. Das Spiel hat sich nicht geändert, es ist nur viel schneller und kompakter geworden."

Kompaktheit ist sein Schlüsselwort. "Kompaktheit erlaubt uns, schnell vorn und schnell hinten zu sein", erklärt Flick, "dabei haben wir zwei Ziele: Wir wollen den Ball, und wir wollen schnell ein Tor erzielen." Da wird der Sportdirektor zum Fußballlehrer. Er springt auf, geht ein paar Meter zurück und dann wieder auf den Nationalmannschaftssprecher Jens Grittner zu, weil der gerade am richtigen Platz sitzt. Er sagt: "Wenn wir zusammen spielen wollen, müssen wir eng aufeinander abgestimmt sein. Genau dazu haben wir unsere Leitlinien entwickelt." Grittner sieht die kleine Vorführung mit Vergnügen.

Flick ist aber noch nicht fertig. Er spricht über das Zuspiel. "Die Spieler müssen verinnerlichen, was ein richtiger Pass ist. Es ist der Pass, mit dem wir Tiefe gewinnen. Das ist wichtiger als Lauf- oder Sprintstrecken." Den Zusammenhang im Mannschaftsspiel fasst Flick in ein schönes Wort: "Der Pass ist Kommunikation. Wenn ich dein Freund bin und dich gut leiden kann, dann spiele ich dir den Ball exakt in den Fuß, damit du gut aussiehst. Wenn nicht, dann lass ich dich alt aussehen und spiele dir auf den Bauch." Er hätte auch den alten Spruch zitieren können, dass eine Mannschaft aus elf Freunden bestehen muss, solange sie auf dem Platz steht. An dieser Wahrheit hat sich ebenfalls nichts geändert.

Flick findet, dass Mesut Özil ein besonders guter Freund ist. Er hat dieses Passspiel, das die Kollegen besser macht. Und er kommt trotzdem in der öffentlichen Bewertung "viel zu schlecht" weg - sogar, wenn es um die Laufbereitschaft geht. "Uns liegen Daten über sein Spiel vor", sagt der DFB-Direktor, "da wurde festgestellt, dass er in 90 Minuten 1400 Meter im Höchsttempo zurücklegt. Und das nicht nur einmal. Das ist ein Spitzenwert."

Özil ist eine der Hoffnungen für Frankreich. "Wir brauchen die Lösungen im letzten Drittel des Feldes", erklärt Flick. Und er verweist auf die EM-Qualifikation, als genau diese Lösung viel zu selten gefunden wurde. Vielleicht ist es für Flick ein Trost, dass die DFB-Auswahl in Frankreich in den K.o.-Runden auf Mannschaften treffen wird, die nicht das einzige Ziel ihres fußballerischen Daseins darin erkennen, einen Menschenwall vor dem Strafraum zu bilden. Dazu muss Löws Team allerdings erst einmal die Gruppe überstehen. Zweifel hat Flick daran nicht. "Das Ziel", sagt er, "muss als amtierender Weltmeister der Titel sein, auch wenn jeder weiß, dass da alles zusammenkommen muss und auch andere Nationen ambitioniert sein werden."

Dann bereitet er sich auf einen Auftritt auf der lit.cologne vor. Er soll dem Publikum am Abend als Teilnehmer eines Podiumgesprächs erklären, wie man ein Spiel liest. Es fällt ihm bestimmt etwas dazu ein. Das hat er schließlich gelernt.

(pet)
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