Analyse WM-Titel kurbelt die Wirtschaft an

Berlin · Ein Wirtschaftswunder wie 1954 erwarten Experten zwar nicht, doch beflügelt der Weltmeister-Titel Konsum, Börsenkurse und Exporte. Politisch steht er wie ein I-Tüpfelchen über der neuen Führungsrolle Deutschlands in Europa.

So wurde auf der Fanmeile am Brandenburger Tor gejubelt. Aber auch die Wirtschaft soll vom WM-Titel profitieren.

So wurde auf der Fanmeile am Brandenburger Tor gejubelt. Aber auch die Wirtschaft soll vom WM-Titel profitieren.

Foto: dpa, ped htf soc

Das Foto in der Kabine entsteht weit nach Mitternacht. Die deutschen Fans zu Hause fahren längst Auto-Korso, als sich die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident in der Kabine zwischen die noch schwitzenden Fußball-Weltmeister ins Bild quetschen. Das Foto wird über die sozialen Medien im Internet binnen Stunden tausendfach versendet. Merkel und Gauck lachen fröhlich mit Poldi und Co. Natürlich wissen die Politiker um die Wirkung solcher Bilder. Ein WM-Titel bringt viel mehr als nur einen Pokal ins Land. Von seinem Glanz wollen viele profitieren.

Nicht nur Angela Merkel und Joachim Gauck schaffen es an diesem historischen 13. Juli 2014 auf die Bilder, die um die Welt gehen. Auch der Sportartikelhersteller Adidas, dessen drei Streifen ohnehin schon auf dem brasilianischen Rasen eine zuvor kaum erreichte Dominanz entfaltet haben, schafft es mit seinem Firmenlogo sogar auf den goldenen Siegerhandschuh von Manuel Neuer, den er als bester Torhüter des Turniers überreicht bekam.

"Die Bilder transportieren Deutschlands zunehmendes Gewicht in der Welt - politisch wie ökonomisch", sagt Frank Decker, Politikwissenschaftler in Bonn. Der vierte WM-Titel nach 1954, 1974 und 1990 setzt dieser Entwicklung gewissermaßen die Krone auf. Kein europäisches Land hat die Finanzkrise so schnell und erfolgreich überwunden wie Deutschland, und kein europäischer Politiker ist zurzeit so mächtig wie Angela Merkel. Der WM-Titel - er könnte Merkels ohnehin schon hoher Popularität und der robusten deutschen Wirtschaft nochmals Schub verleihen.

Berlin wartet auf die deutschen Weltmeister
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Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, lautet ein vielzitiertes und deshalb auch bereits etwas abgenutztes Bonmot des Wirtschaftswunder-Erfinders Ludwig Erhard. Doch wie recht der Mann mit der Zigarre damit hatte, zeigte sich in Deutschland nach dem Gewinn noch jeder Weltmeisterschaft. Vor allem 1954 beim "Wunder von Bern". Erst dieser Titel hatte das Wirtschaftswunder damals so richtig entfesselt. Auch 1974 half der Titel, die tiefe Ölpreiskrise zu überwinden. 1990 hätte ihn Deutschland zwar wirtschaftlich gar nicht nötig gehabt. Die Wiedervereinigung sorgte bereits für eine Sonderkonjunktur. Aber der Titel beförderte das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten.

In diesem Sommer wird der WM-Titel das I-Tüpfelchen auf eine ohnehin gute wirtschaftliche Entwicklung sein. Experten erwarten daher keinen neuen Kaufrausch oder Investitionsorgien. Allerdings könnte auch dieser Titel helfen, Konjunkturdellen zu überwinden, die etwa drohen könnten, sollte die europäische Schuldenkrise zurückkehren. "Der WM-Titel ist gut für die Stimmung im Lande. Die Leute denken mehrheitlich: Uns geht's gut, wir sind wer. Das wird die Konsumlaune hoch halten und die gute Konjunktur stabilisieren", sagt Andreas Scheuerle, Europa-Chefvolkswirt der Dekabank.

DFB-Flieger macht Abstecher über die Fanmeile
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Erfolgreiche Fußball-Weltmeisterschaften haben stabilisierende Wirkungen auf Konsumenten und Investoren - das kann der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Armin Falk sogar empirisch nachweisen. Beim Sommermärchen 2006 hatte Falk nach jedem Spiel des Klinsmann-Teams ausgewählte Bürger nach ihrer persönlichen ökonomischen Situation, der allgemeinen Wirtschaftslage sowie ihren Erwartungen befragt. Ergebnis: Mit jedem Erfolg des deutschen Teams verbesserten sich die Werte. "Wenn alle Leute glauben, dass es aufwärts geht, kann das die ökonomische Stimmung positiv beeinflussen. Es entsteht ein sich selbst verstärkender Effekt", sagt Falk.

Auch im Außenhandel könnten der WM-Titel und der disziplinierte Auftritt der deutschen Mannschaft in Brasilien psychologische Effekte haben, die sich auszahlen, meint Ökonom Scheuerle. "Das Ausland erinnert sich an die deutschen Qualitäten, zum Beispiel daran, dass die Deutschen hervorragende Produkte und intelligente Strategien austüfteln können. Das könnte den Export stärken und die ausländischen Investitionen in Deutschland."

An der Börse wird der WM-Triumph allerdings kaum nachhaltige Konsequenzen haben - vermutlich nicht einmal beim Sportartikelhersteller Adidas. Der Konzern aus Herzogenaurach profitierte als Ausrüster beider Finalisten zwar vom Hype um das WM-Endspiel. "Aber das trägt auch nur kurzfristig, vielleicht bis zum Quartalsergebnis", meint Ralf Zimmermann, Aktienstratege beim Düsseldorfer Bankhaus Lampe. Das WM-Trikot von Adidas mit den vier Sternen (für vier WM-Titel) für 85 Euro (plus 15 Euro bei aufgedrucktem Spielernamen) wird dieser Tage zum Verkaufsschlager. Diese Erwartungshaltung hat gestern auch die Aktie angeschoben. Sie gewann zweieinhalb Prozent. "Aber für den Dax insgesamt hat das kaum Auswirkungen, weil das Gewicht von Adidas im Index zu vernachlässigen ist", sagt Zimmermann. Der Dax hängt zu nicht mal zwei Prozent an der Entwicklung der Adidas-Aktie. Sobald die WM-Euphorie weg ist, dürften die Krisen in Nahost und der Ukraine wieder in den Blick rücken.

Solche Schocks von außen könnten auch in der realen Welt die positiven Effekte der WM schnell wieder überdecken. "Erfolg muss man sich verdienen, das gilt für den Fußball wie auch für die Wirtschaftspolitik: Ohne strukturelle Reformen bleibt ein Land langfristig nicht leistungsstark", warnt daher Scheuerle. Der Ökonom hält nicht viel davon, wenn sich Politiker allein auf die 50 Prozent Psychologie verlassen. Doch sieht es nicht so aus, als wolle Merkel neue schwierige Projekte in ihrer dritten Amtszeit anpacken. Sie verlässt sich lieber auf ihre Popularität. "Das ohnehin schon vorhandene ,Merkelbild' wird durch ihre Teilnahme am Finale weiter gefestigt", sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner. Sie wirke damit wie schon in der Euro-Krise als "Kümmererin".

(rl, mar)
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