Island fährt zur WM Russland hört ein Hu!

Reykjavik/Düsseldorf · Islands Fußballer vollbringen die nächste Sensation. Sie spielen im nächsten Jahr bei der WM. Schon bei der EM 2016 in Frankreich sorgten sie für eine kleine Völkerwanderung.

WM 2018: Island feiert die erste WM-Teilnahme
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Island feiert die erste WM-Teilnahme

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Island gehört nicht zu den extrem dicht besiedelten Ländern dieser Erde. In der "Weltrangliste" liegt die Insel im Atlantik auf Rang 88. Im Schnitt leben 3,3 Einwohner auf einem Quadratkilometer. In Deutschland herrscht schon mehr Gedränge. 226,1 Einwohner teilen sich, statistisch gesehen, einen Quadratkilometer. Nächsten Sommer wird es in Island noch ein bisschen übersichtlicher, genauer von Mitte Juni bis Mitte Juli. Dann wird in Russland die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen. Und Island, der Riese unter den Fußballzwergen auf dem Globus, ist dabei.

Viele seiner Fans, die den 2:0-Erfolg über die Mannschaft des Kosovo im Laugardalsvöllur-Stadion von Reykjavik mit den berühmten "Hu, Hu, Hu"-Sprechchören feierten, werden die Reise nach Russland mitmachen. Vielleicht wird die kleine Völkerwanderung nicht ganz so eindrucksvoll wie die vor Jahresfrist nach Frankreich. Damals war nach zuverlässigen Schätzungen jeder Zwölfte der 340.110 Einwohner zur EM gefahren. Islands Team war die Sensation des Turniers, es warf im Achtelfinale die großen Engländer aus dem Wettbewerb. Und einen Sommer lang staunte die Welt über die Athleten aus dem Norden, die mit Kraft, Teamgeist und nahezu perfekter Organisation auf dem Feld die Großen erschreckten.

Besonders gut im Erschrecken war ihr Kapitän Aron Gunnarsson, der mit seinem wilden Vollbart das Wikinger-Image am besten verkörperte und der den Ball bei seinen Einwürfen mit Urgewalt durchs halbe Stadion beförderte. Früher war er mal Handballer, einer der Besten des Landes. Aber er entschied sich mit 16 Jahren für den Fußball.

Heute ist der Bart gestutzt, das Fürchten lehrt der Mittelfeldspieler von Cardiff City seine Gegner aber immer noch. 28 Jahre ist er inzwischen, und er hat miterlebt, wie der Fußball wichtig wurde auf der Insel. Bis zur Jahrtausendwende stand der Sport klar im Schatten des Handballs. Das änderte sich, als die Fußballer das strategische Denken entdeckten. Als Island noch ein reiches Land war, also vor der weltweiten Finanzkrise, wurden sieben große Hallen gebaut. Der Fußball, zuvor beeinträchtigt durch das vergleichsweise unfreundliche, immer windige und höchst wechselhafte Wetter, zog unters Dach.

Dort konnten die Feinheiten des Spiels einstudiert werden, nicht jeder zweite Ball versprang, landete in tiefen Pfützen oder - schlimmer noch - gleich im tosenden Ozean. Perfekte Bedingungen vor allem für den Nachwuchs. Dem stellten Verband und Vereine darüber hinaus richtig gute Trainer zur Seite. Schon im Nachwuchsbereich sind Lizenzen für die Fußballlehrer Pflicht. Bereits 2014 gab es 191 Trainer mit einer A-Lizenz der Uefa.

Das Ergebnis dieser Förderung war bei der EM in Frankreich ebenso zu besichtigen wie bei der souveränen WM-Qualifikation. Trotzdem wundern sich selbst die Hauptdarsteller. Nationaltrainer Heimir Hallgrimsson (50) geriet regelrecht ins Stammeln. "Unglaublich", stieß er hervor und zählte seine Fußballhelden auf: "Pelé, Maradona, Aron Gunnarsson." Tatsächlich wird die Geschichte des Fußballs gerade um ein bemerkenswertes Kapitel bereichert. Es enthält viel von dem Märchen der tapferen Männer, die durch ihren Willen und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl geradezu Berge versetzen können. Das Kapitel handelt deshalb von großen Gestalten wie Gunnarsson, von Trainer Hallgrimsson, der in einem früheren Leben mal Zahnarzt war, oder von Torwart Hannes Halldórsson, der zu den wichtigsten Filmemachern des Landes zählt.

Man könnte zu dem Schluss kommen, dass einem echten Isländer einfach alles gelingt, was er sich vornimmt. Im Handball gehört die Nationalmannschaft zur internationalen Klasse, vor neun Jahren gewann sie die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen. Auch in dieser Sportart - zum Glück wird sie seit jeher unter dem Dach gespielt - lebt das Team von seiner Entschlossenheit, von seinem Glauben an den Erfolg und von taktischer Klasse.

Mentalität und gute Schule sind allerdings nicht alles. Fußballer und Handballer setzen ihr Spiel nicht nur mit geometrischen Figuren und eingeübten Zügen durch. Sie brauchen Kreativität. Dafür scheint die Insel ebenfalls ein idealer Boden zu sein. Der Schriftsteller Halldór Laxness wurde "für seine anschauliche epische Kraft, welche die große Erzählkunst von Island erneuert hat", mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Zehn Schach-Großmeister hat das Land im vergangenen Jahrhundert hervorgebracht und eine Sängerin, die mit verträumt-schrägen Liedern eine Weltkarriere hinlegte. Neben Björk gibt es nun den nächsten Weltklasse-Export. Auch wenn die Fußballer deutlich schlechter singen.

(pet)
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