Ronaldos Traumtor gegen Juventus Klaus Fischer erklärt die Faszination Fallrückzieher

Düsseldorf · Cristiano Ronaldo trifft akrobatisch gegen Juventus Turin, und die Fußball-Welt verneigt sich. Der deutsche Fallrückzieher-König Klaus Fischer weiß, warum das so ist. Denn solche Tore kann kein Spieler trainieren.

 Klaus Fischer

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Foto: dpa, tei fux nic

63 Spielminuten lang wird Cristiano Ronaldo von den italienischen Fans ausgepfiffen. Dann aber schlägt die Stimmung im Champions-League-Viertelfinale zwischen Juventus Turin und Real Madrid um. Ronaldo, der Weltfußballer im Dress der Madrilenen, macht den unterhaltsamen Fußballabend in der 64. Minute zu einer magischen Nacht.

Sein Teamkollege Dani Carvajal flankt von der rechten Seite nach innen. Ronaldo bringt sich im Strafraum in Position. Er löst sich vom Turiner Abwehrspieler, fokussiert den Ball, setzt zum Fallrückzieher an und bringt ihn akrobatisch in der linken Torecke unter. Es ist der Treffer zum zwischenzeitlichen 2:0 für Real und das bereits 119. Champions-League-Tor für Ronaldo - der damit so oft getroffen hat wie kein anderer zuvor. Doch es ist zugleich auch der wohl schönste Treffer des Portugiesen, der sogar dem italienische Publikum größten Respekt abverlangt. Die Fans erheben sich - und klatschen dem bisherigen Buhmann anerkennend Beifall.

Nach dem Spiel, das Real 3:0 gewinnt, dreht sich alles um Ronaldos Traumtor. Sein Trainer Zinédine Zidane ringt um eine Erklärung: "Es ist etwas, was nur Cristiano hat", sagt Zidane. "Er tut Dinge, die einfach zu ihm gehören. Die nur er kann." Viele Fußballfans dürften sich gleich an den Namen des deutschen Fallrückzieher-Königs erinnert haben, ihn laut gesagt oder zumindest gedacht haben: Klaus Fischer. Er gilt hierzulande bis heute als unerreichter Meister dieser Technik. Und Fischer findet nach Ronaldos Tor eine eigene Erklärung dafür, warum der Fallrückzieher auch heute noch solche Emotionen auszulösen vermag. "Solche Tore können nur ganz wenige Fußballer schießen", sagt Fischer."

Der 68-Jährige steht im strömenden Regen auf dem Fußballplatz, als wir ihn anrufen. Mitten im Sauerland leitet er gerade eine Gruppe von Jugendfußballern an. In den Osterferien herrscht Hochzeit in der "Klaus-Fischer-Fußballschule". Er übt mit den Nachwuchskickern Passen und Freilaufen. Doch auf dem Lehrplan von Fischer, der nach Gerd Müller der zweitbeste Torschütze in der Bundesliga ist und in 535 Einsätzen immerhin 268 Mal traf, steht der Fallrückzieher nicht. Dafür gibt es Gründe.

"Lernen kann man das nicht. Solche Aktionen plant man nicht vor dem Spiel, die ergeben sich aus der Situation", sagt Fischer. "Es gibt Spieler, die können das. Andere können es nicht." Er zählt klassische Mittelstürmer wie Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic auf, auch den Bayern-Spieler Robert Lewandowski. "Das Spiel ist heute aber ein ganz anderes als zu meiner Zeit. Mehrere Spieler schießen die Tore", sagt er. Und Fußball werde immer mehr "gearbeitet".

Fischer bewies oft genug, dass er einer dieser Begabten war, die die Technik beherrschten. Er erinnert sich an seinen allerersten Treffer per Fallrückzieher. 1975 war das. In einem Spiel zwischen dem Karlsruher SC und dem FC Schalke 04, für den Fischer in 325 Spielen unerreichte 199 Tore erzielte. "Damals beim Training auf Schalke sollte ich dann allen den Fallrückzieher beibringen, aber das kann man nicht." Er habe Rüdiger Abramczik dann gebeten, eine Flanke zu schlagen - und seinen Spezialschuss Mitspielern und Fans vorgeführt. Trainiert habe er Fallrückzieher nie. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde habe Fischer im Spiel entschieden, ob er den Fallrückzieher bei einer Flanke wagt oder nicht.

Unvergessen ist Fischers Geistesblitz vom 16. November 1977. Beim 4:1 im Länderspiel in Stuttgart gegen die Schweiz stieg der Nationalstürmer nach einer Flanke hoch und schoss sehenswert ein. Der Treffer wurde das Tor des Jahres, dann Tor des Jahrzehnts und später gar zum Tor des Jahrhunderts gekürt.

Ronaldos Fallrückzieher habe er noch nicht gesehen, weil er Sevilla gegen Bayern geschaut habe. Er wolle das aber auf jeden Fall nachholen, sagt Fischer. "Die Zuschauer kommen ins Stadion, um solche besonderen Momente zu erleben." Sie hofften auf Aktionen des eigenen Teams, "aber sie honorieren es auch, wenn der Gegner Außergewöhnliches zeigt". Fischer wiegelt ein wenig ab. "Das Wichtigste ist immer noch, Tore zu schießen, egal wie. Das hat man bei Gerd Müller gesehen - und jetzt wieder im Viertelfinale der Bayern in Sevilla."

Dass die italienischen Fans für Ronaldo applaudiert haben, sei sicher auch für den Portugiesen etwas ganz Besonderes gewesen. Fischer kann das nachempfinden. Cristiano Ronaldo hat das sogar bereits öffentlich erklärt, hat sich bedankt und sehr berührt gezeigt. Fischer bringt es am Ende noch einmal auf den Punkt: "Tore ergeben Siege", sagt er, "und Fallrückzieher ergeben Faszination."

(ball)
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