Keine Fan-Kultur um DFB-Team "Die Mannschaft" — ein Kunstprodukt

Düsseldorf · Bei der deutschen Nationalmannschaft ist alles vermarktet. Und nichts wird dem Zufall überlassen - den Zuschauern wird sogar erklärt, wie man das Team am besten unterstützt.

 Das DFB-Team bejubelt vor einer riesigen Deutschland-Fahne das Tor von Toni Kroos gegen England.

Das DFB-Team bejubelt vor einer riesigen Deutschland-Fahne das Tor von Toni Kroos gegen England.

Foto: dpa, jew hak

Es ist gar nicht so unüblich, dass es Handlungsanweisungen gibt, wie Choreographien in Fußballstadien funktionieren. Organisierte Fangruppen, meist die sogenannten Ultras, verteilen dazu bei aufwendigeren Projekten Flugblätter mit einer Anleitung. Wer hebt wann, was und wie lange in die Höhe, um ein möglichst imposantes Gesamtbild hinzubekommen. "Choreos" sind machtvolle Bilder, Demonstrationen der eigenen Kreativität. Sie sind vor allem aber aus der Kurve entstanden.

Am vergangenen Samstag gab es im Berliner Olympiastadion gleich eine Reihe von Regieanweisungen. "Bitte zum Einlauf der Mannschaften die Papptafeln/Folienschnitte hochhalten" stand zum Beispiel auf einem Transparent in XXXL-Format auf der blauen Laufbahn. Das Publikum ist den Anweisungen des DFB brav gefolgt. Herausgekommen ist tatsächlich eine nette Inszenierung: "Team", "12" (für zwölfter Mann) und "Spirit". Der Unterschied: Die Aufführung ist nicht in Eigeninitiative und mühevoller Kleinarbeit einer Fangruppierung entstanden, sondern aus der Kreativabteilung des Verbands und seinen angeschlossenen Agenturen. Man kann auch in dieser Form eine Choreographie schön finden, ihr wird nur ein wichtiges Element genommen: die Ehrlichkeit. Es geht so um das Bild und erst danach um eine Botschaft. In der gewachsenen Fankultur ist das genau andersherum.

Wie sollte bei der deutschen Nationalmannschaft, die seit dem vergangenen Jahr den Namen "Die Mannschaft" trägt, aber auch irgendetwas gewachsen sein? Wie sollte sich eine Fankultur dort etablieren? Sie ist dort in der aus der Liga bekannten Form überhaupt nicht (mehr) gewünscht. Wer offiziell Anhänger von "Die Mannschaft" werden will, muss Mitglied des "Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca Cola" sein. Das ist auch alleine schon deshalb vonnöten, um an begehrte Tickets für Länderspiele bei Großereignissen zu kommen - wie der Europameisterschaft im Sommer. Diese Form der Organisation hat vor allem etwas mit Vermarktung zu tun - ein Sponsor sichert sich die Rechte. Es geht auch darum, einen gewissen Typus Fan ins Stadion zu bekommen.

Der DFB will schöne Bilder aus dem Stadion in die Welt transportieren. Als Statisten sind Event-Fans optimal geeignet. Sie kommen, fordern aber nicht im größeren Maße Mitbestimmung ein. Ihre größte Form des Protestes ist es, einfach nichts zu machen. Wie beim Freundschaftskick in der Hauptstadt gegen England. Nach ein paar Minuten waren die Pappschilder zur Seite gelegt und die "Fans" arbeitslos. Kein Klatschen, keine Sprechchöre, immerhin gelegentliche Pfiffe bei missglückten Spielzügen. Vor diesem Hintergrund wirkt die zu Beginn gezeigte Botschaft umso skurriler. Von Teamspirit auf den Rängen ist nichts zu spüren, ein zwölfter Mann in der Kurve nicht mal ansatzweise zu erkennen - besonders nicht, als das Spiel kippt.

Auf der gegenüberliegenden Seite sind zahlreiche englische Fahnen zu bestaunen. Beschrieben sind sie mit den Heimatorten der Besitzer, die sich - teilweise ohne Bekleidung am Oberkörper - in der zweiten Hälfte in einen Rausch singen. "God Save the Queen", die Nationalhymne, schallt durch das Rund. Gefolgt von einem Dauergesang, der zum Inhalt hat, dass die Besucher lieber der Arbeit fernbleiben und weiter Bier trinken wollen. Viele dieser Anhänger reisen nur noch der Nationalmannschaft hinterher. Die eigene Liga interessiert sie nicht mehr, sie ist zu steril geworden, der Stellenwert der Fankultur kommt erst nach zahlreichen Vermarktungskriterien.

In Deutschland ist der Status quo genau andersherum - zumindest noch. Denn auch die Klubs in Deutschland sehen sich immer mehr als Wirtschaftsunternehmen, die sich auf dem Markt platzieren wollen. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel "Die Mannschaft". Eine Fanorganisation aus England richtete sich im August 2015 mit einem offenen Brief an deutsche Fans: "Ihr könnt nicht zulassen, dass euren Fußball das gleiche Schicksal ereilt wie unseren."

(RP)
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