Nationalmannschaft Elf Thesen auf dem Weg zur EM

Düsseldorf · Zum großen Abschlussjubel erschien allein das DFB-Maskottchen "Paule" in der Kurve. Das passt zur Diskussion um Entfremdung und künstliche Fankultur. Dennoch war es in München ein viel fröhlicherer Abend als ein paar Tage zuvor in Berlin.

Thomas Müller verteilt Ohrfeigen an Torschütze Mario Götze
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Müller verteilt Ohrfeigen an Torschütze Götze

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Das lag am Ergebnis, dem 4:1-Erfolg über Italien — so etwas gab es ein Dreiviertel-Jahrhundert nicht mehr — und einer netten Vorstellung der deutschen Nationalmannschaft. Nach den beiden Klassikern wird es Zeit, zur EM zu schauen. Elf Thesen auf dem Weg nach Frankreich.

Am besten nur noch im Ausland testen

In Irland singen die Fans sich gegenseitig die Trommelfelle in Brand, in Schottland ist Party auf den Rängen, wenn die Deutschen kommen. Nur in Deutschland selbst herrscht vornehme Ruhe, wenn der Weltmeister auftritt. In Berlin wurde sie nur dann und wann von Pfiffen unterbrochen. Das kommt davon, wenn fast nur noch Mitglieder des künstlichen Produkts Fan-Club der Nationalmannschaft ins Stadion dürfen. Selbst das berüchtigte Münchner Operettenpublikum war besser gelaunt. Es sah allerdings auch die mit Abstand bessere Leistung.

Die Fünferkette ist die Lösung der Probleme

Kein Nachfolger für Philipp Lahm in Sicht, auf den Außenverteidiger-Positionen keine internationale Klasse, die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen zu groß, der Gegner bekommt zu viel Raum? Das war einmal, wenn die Mannschaft wie in München mit drei zentralen Verteidigern und defensiv denkenden Außen, mit einer Fünferkette spielt. "Heute haben wir gesehen, was passiert, wenn wir eine defensivere Mentalität an den Tag legen", sagte Mats Hummels in München, "wenn alle arbeiten, sieht man, wie stabil wir sein können und trotzdem Chancen erarbeiten." Kein Wunder, dass die deutschen Spitzenklubs Bayern und Dortmund so spielen. Weiter so!

Ohne Boateng in der Abwehr wird es nichts

Die Innenverteidiger-Kette Shkodran Mustafi, Hummels, Antonio Rüdiger war gegen Italien gut, aber zum ganz großen Wurf braucht es den besten deutschen Verteidiger, Jerome Boateng. Mitte April will er wieder spielen. Das reicht für Frankreich.

Captain Sami ist der starke Mann

Gegen Italien saß der leicht verletzte Sami Khedira neben Löw und spielte den natürlichen Co-Trainer. Sein Wort hat Gewicht, er kann die Figur sein, an der sich ein Team aufrichtet, wenn es mal nicht so läuft. Und er denkt defensiv - eine wichtige Qualität bei all den Offensivkräften um ihn herum. Die Münchner Variante mit Mesut Özil und Toni Kroos hat aber auch ihre Reize. Das Duo lieferte gegen Italien großen Sport.

Schweinsteiger wird EM-Tourist


Der große Mann aus dem WM-Finale ist seit fast zwei Jahren nicht mehr richtig fit geworden. Die nächste Verletzung wirft ihn erneut um Monate zurück. In seiner Abwesenheit haben sich andere in der Zentrale, im Maschinenraum des deutschen Spiels bewährt. Löw wird ihn wohl mitnehmen nach Frankreich, ins Team kommt er nicht mehr.

Reus muss erwachsen werden

Der Dortmunder Stürmer ist ein begnadetes Talent, aber Wettkampfhärte hat er vor allem in wichtigen Spielen nicht nachgewiesen. Die EM wird für seinen Weg ein entscheidendes Turnier. Wenn er endlich auf den Platz bringt, was er kann, ist er konkurrenzlos. Wenn er unsichtbar wird wie gegen England und gegen Italien, sind ihm andere voraus.

Löw braucht Götze

Im September vergangenen Jahres schoss Mario Götze beim 3:1 gegen Polen zwei Tore, gegen Italien machte er eins und bereitete eins vor. In beiden Spielen war er beständig unterwegs und schuf dabei Räume - die Voraussetzung für Tiefe im deutschen Kombinationsspiel. Das ist für Löw unentbehrlich.

Europa hat aufgeholt

Die WM gewann Deutschland auch, weil die europäischen Konkurrenten sich früh verabschiedeten (England, Italien, Spanien) oder einfach ein kleines bisschen schwächer waren (Frankreich). Doch Europa ist erwacht, während Deutschland seit dem Triumph von Rio nur drei richtig gute Spiele gemacht hat - beim 1:0 in Spanien, beim 3:1 gegen Polen und nun beim 4:1 gegen Italien.

Der Weg zum Titel führt über Italien

Deutschland kann in Frankreich im Viertelfinale auf Italien treffen. Das könnte man nach dem unterhaltsamen Spielchen in München ganz schön finden. Aber auch Fachmann Löw ahnt bereits: "Bei der EM wird Italien anders auftreten." Es sei aber immerhin "schon mal wichtig, dass die Mannschaft das Gefühl hat, Italien schlagen zu können, klar".

Auf die Vorbereitung kommt es an


Das ist so etwas wie das Mantra des DFB-Gurus Löw. Mit der Geduld eines Zen-Mönchs verweist er nach rumpeligen Vorstellungen darauf, dass er es bis jetzt noch bei jeder Großveranstaltung hinbekommen hat, in gemeinsamen Trainingslagern sehr funktionierende Teams auf die Beine zu stellen. "Das wird auch diesmal so sein", sagte er in München. Glaubwürdig.

Deutschland ist eine Turniermannschaft

Für diesen Satz muss man im Privatfernsehen wahrscheinlich sein halbes Barvermögen ins Phrasenschwein versenken. Wahr ist er trotzdem. Mit wenigen Ausnahmen hat die deutsche Nationalelf bei großen Turnieren mannschaftliche Geschlossenheit und häufig spielerische Kultur nachgewiesen - vor allem in Löws nun fast zehnjähriger Amtszeit als Cheftrainer. "Deutschland", sagte der italienische Mittelfeldspieler Riccardo Montolivo, "ist eine der besten Mannschaften, sie haben mehr Talent als wir und gehören zu den Favoriten." In München haben Löws Jungs eine Ahnung davon verbreitet.

(RP)
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