ARD-Journalist erhält Lob Als der Kommentator Bartels zum Krisenreporter wurde

Paris · Sportreporter müssen sich häufig die Einschränkung "nur" gefallen lassen, weil die Unterhaltung bei ihrer Arbeit eine große Rolle spielt. ARD-Kommentator Tom Bartels geriet am Freitagabend während der Anschläge in Paris in eine unvorhersehbare Ausnahmesituation – und meisterte sie vorbildlich.

Das sagten die Reporter zu den WM-Titeln 1954, 1974, 1990 und 2014
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Das sagten die Reporter zu den WM-Titeln

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Sportreporter müssen sich häufig die Einschränkung "nur" gefallen lassen, weil die Unterhaltung bei ihrer Arbeit eine große Rolle spielt. ARD-Kommentator Tom Bartels geriet am Freitagabend während der Anschläge in Paris in eine unvorhersehbare Ausnahmesituation — und meisterte sie vorbildlich.

Die bis dahin schwierigste Herausforderung in Bartels' Karriere war zugleich die dankbarste gewesen. Am 13. Juli 2014 kommentierte er in der ARD das WM-Finale, da ist jedes Tor ein historischer Moment vom Reißbrett — große Anspannung für denjenigen, der die richtigen Worte finden will, aber positives Adrenalin. 34,65 Millionen Menschen hörten Bartels' Worte, als Mario Götze zum Siegtor gegen Argentinien ansetzte: "Mach' ihn! Er macht ihn!"

In Gerrit Meinke, einem ehemaligen Spieler von Arminia Bielefeld, hat Bartels wie die meisten seiner Kollegen einen fachkundigen Souffleur neben sich sitzen. "Für mich ist es wichtig, dass ich bei der Bewertung der einzelnen Spieler und der Szenen richtig liege", sagte Bartels 2014 vor dem WM-Finale.

Am 13. November 2015 ist der ARD-Mann wieder im Zentrum eines historischen Ereignisses, wieder hat es eine globale Tragweite, doch diesmal können Bartels' Helfer nur bruchstückhafte Informationen flüstern, diesmal sind es schlechte Nachrichten — diesmal wird der Sportjournalist zum Krisenreporter.

"18 Tote sind bestätigt bei den Explosionen in der Nähe des Stadions. Das ist ein ganz dunkler Tag für Frankreich", verkündet Bartels in der 85. Minute des Länderspiels zwischen Frankreich und Deutschland im Pariser Stade de France. Fast anderthalb Stunden sind vergangen, seitdem auch bei der TV-Übertragung ein lauter Knall zu vernehmen war. Frankreich hatte gerade den Ball. Das Stadion schien kurz zu zucken, wie bei einem unsäglichen, aber fast schon alltäglichen Böllerwurf. Teile des Publikums johlten, das Spiel lief weiter. Wenige Sekunden nach der ersten Explosion sagte Bartels: "Ich weiß nicht, ob sie das laute Geräusch gehört haben. Da wird einem mal kurz anders. Das klang wie eine Explosion. Die Leute schauen sich um hier, nichts zu erkennen. Nach einer Bombendrohung gegen das Hotel der deutschen Mannschaft heute wird einem schnell mulmig." Es schien so, als habe Bartels eine Vorahnung gehabt, dass das laute Geräusch etwas Schlimmeres zu bedeuten hatte.

Es ist einige Zeit vergangen zwischen dem Auftakt der beispiellosen Anschlagsserie in Paris und dem Moment, in dem Bartels vermeldet, dass mindestens 18 Menschen tot sind. Kurz darauf sagt er, es gebe "weitere Gerüchte über eine Geiselnahme innerhalb von Paris", gemeint ist die Konzert-Location Bataclan, wo an diesem schwarzen Freitagabend die meisten Opfer zu beklagen sind.

Bartels kommentiert das inzwischen nebensächliche Spielgeschehen fast schon andächtig leise. Wenn Fans den ARD-Reporter kritisieren, geht es sonst oft darum, dass seine Stimme sich in belanglosen Szenen überschlägt. "Das alles sage ich Ihnen mit weichen Knien", meint Bartels an einer Stelle. "Es gibt wirklich andere Sachen, die wichtiger sind." Frankreichs 2:0 nimmt er im Stile eines 70er-Jahre-Kommentators zur Kenntnis. Früher gehörte es zum guten Ton, als Fußballreporter geradezu gelangweilt zu sprechen.

"Sehe mich leicht überfordert", gibt Bartels, der über seinen Knopf im Ohr mit Informationen versorgt wird, offen zu. Allzu viele Informationen sind es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, geschweige denn gesicherte. Auf Twitter — ansonsten oft der Ort im Netz, an dem Shitstorms entstehen — erhält Bartels viel Lob dafür, wie er den wohl schwierigsten Moment seiner Reporterkarriere meistert.

"Perverse Situation für mich"

Am Tag nach dem Spiel äußerte sich Bartels selbst zu den Ereignissen. "Das war eine perverse Situation. Ich war überfordert. Das ist das Schlimmste, was passieren kann, dass Menschen sterben während eines Sportereignisses. Es war grausam, mit Worten nicht zu beschreiben und zu lösen", sagte der Reporter. "Mir haben die Knie gezittert. Ich wollte nur, dass es zu Ende geht. Es war einfach nur furchtbar", berichtete er: "Man wünscht sich, irgendwie erlöst zu werden."

Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Um 23.35 Uhr, mehr als zwei Stunden nach der ersten Explosion vor den Stadiontoren also, spricht Susanne Daubner in einer Extrausgabe der "Tagesschau" von 40 Toten. Die Tragödie im Bataclan ist da längst noch nicht vorüber, es werden weit mehr als 100. Frankreich-Korrespondentin Ellis Fröder ist mit dem Taxi ins Studio geeilt, durch eine Stadt im Ausnahmezustand.

Bis die Berichterstattung gegen Mitternacht so richtig anläuft, überbrücken die Sportexperten der ARD die Zeit. Moderator Matthias Opdenhövel, der seine Sternstunden als Entertainer bei "Schlag den Raab" hatte, lässt Zusammenfassungen anderer Fußballspiele geradezu durchlaufen. Während Opdenhövel immer wieder betont, worüber er am liebsten gar nicht reden will, steht Mehmet Scholl schockiert neben ihm, nach vorne über den Studiotisch gebeugt, als sei er kurz davor, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

"Zunächst sind viele Beobachter davon ausgegangen, dass das Stadion Schwerpunkt des Geschehens war", sagt ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke dem Medienmagazin DWDL.de am Tag nach den Anschlägen. "Entsprechend war es richtig, dass die Sportkollegen direkt von dort über die Ereignisse abseits des Spielfelds berichtet haben."

Kritikern, die verlangten, die ARD hätte die Übertragung abbrechen müssen, begegnet auch Bartels spöttisch. "Die hätten das sicher alle genauso gemacht, wie man das machen muss", sagte er: "Man wird eben überrollt. Ich weiß gar nicht, wie man das machen muss. Ich will so etwas nie wieder erleben."

Erst in der 70. Minute habe er sicher gewusst, dass Menschen gestorben seien. "Das war schockierend", sagte er und bekannte, er sei zuvor sogar etwas in Sorge um seinen Ruf gewesen: "Ich war lange nicht sicher, ob ich vielleicht übersensibel bin."

Was richtig war an diesem Abend, lässt sich vielleicht auch gar nicht abschließend beurteilen. "Richtig" heißt in derartigen Ausnahmesituationen oft einfach nur: "nicht falsch". Der Journalist Udo Stiehl hat auf seinem Blog einen viel beachteten Beitrag über "eine unerfüllbare Anspruchshaltung" geschrieben.

(jaso)
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