Fragen und Antworten zum Fifa-Beben Neuer Argwohn gegen Russland und Katar

Düsseldorf · Die Vergabe der WM-Turniere 2018 und 2022 wird nach Blatters Rücktrittsankündigung neu diskutiert.

Sepp Blatter: 17 Jahre an der Spitze der Fifa
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Foto: dapd, Alessandro Della Bella

Die Stimmen, die nach einer Neuvergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 rufen, werden nach der Rücktrittsankündigung von Fifa-Präsident Joseph Blatter lauter. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (SPD), sagte unserer Zeitung: "Es wäre ein großes Zeichen der Fifa und Beweis ihres Reformwillens, wenn sie sich von diesen Fehlentscheidungen distanzieren würde." Sie selbst brachte England als Austragungsort für 2018 ins Spiel.

Warum sollten Katar und Russland die Weltmeisterschaften abgenommen werden?

Dafür gibt es zwei Ansätze. Konkret wird die Debatte um einen Entzug, falls die Justiz nachweisen kann, dass es bei der Vergabe der Turniere im Dezember 2010 Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Die andere Ebene ist die politische. Darf Russland nach dem Völkerrechtsbruch in der Ukraine überhaupt eine Fußball-WM ausrichten? Ein zentraler Vorwurf gegen Katar sind die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen auf den Stadion-Baustellen.

Gibt es eine rechtliche Handhabe für die Neuvergabe der Turniere?

Durch Blatters Rücktrittsankündigung allein ist sie noch nicht gegeben. Die WM-Verträge der Fifa mit den Ausrichtern haben nichts mit der Person des Präsidenten zu tun. Ändern könnte sich die Situation dann, wenn die Schweizer Justiz belastendes Material findet, gegen Blatter, Generalsekretär Jêrome Valcke oder einen der 24 Wahlmänner der Exekutive. Vergangene Woche begannen die Befragungen der bei der WM-Vergabe stimmberechtigten Funktionären. Sollten schwere Vergehen festgestellt werden, sind weitreichende Konsequenzen zumindest vorstellbar - bis zur Neuvergabe der Turniere. Eine interne Untersuchung der Fifa zu den Abläufen bei der Wahl der beiden WM-Gastgeber hatte im vergangenen Herbst offiziell keine ausreichenden Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten ergeben. Folglich sieht die Fifa bislang keinen Grund und keine Möglichkeit, einem der beiden Länder die Ausrichter-Rolle zu nehmen.

Welche Länder kämen als Ersatzausrichter in Betracht?

Für 2022 hat sich Australien in Stellung gebracht. Zeit genug bliebe für die Vorbereitungen dort. Ein Ersatz für Russland als Gastgeber 2018 müsste auf die Schnelle gefunden werden. Es gibt wenige Länder, die über die erforderliche Infrastruktur verfügen. Deutschland, England und Frankreich (Ausrichter der EM 2016) haben moderne Stadien, die Vereinigten Staaten würden es womöglich auch hinbekommen. Brasilien verfügt nach der WM 2014 über Arenen, doch nach einer WM und Olympia 2016 in Rio wäre die abermalige Gastgeberrolle schwer vorstellbar. Eine realistischere Alternative wäre ein multinationales Turnier nach Art der EM 2020.

Gibt es ein Beispiel dafür, dass einem Land ein Großereignis abgenommen wurde?

Nein. Die US-Stadt Denver gab nach Bürgerprotesten die Olympischen Winterspiele 1976 freiwillig ab. Innsbruck sprang ein. Politisch in der Kritik standen schon viele Großereignisse, zum Beispiel Sommer-Olympia 2008 in Peking und die Winterspiele 2014 in Sotschi.

Könnten die Fußballverbände die WM-Turniere in Russland und Katar boykottieren?

Könnten sie, das wird aber nicht passieren. Die Sponsoren der Mannschaften und die Fernsehanstalten haben ein großes Interesse daran, dass die Topteams dabei sind. Gegen deren Interessen wird sich der Fußball nicht stellen. ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz sagte: "Die bereits geschlossenen Verträge über die TV-Rechte der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 sind von der neuen Situation nicht betroffen." Der Satz "Ein Boykott hat noch nie etwas gebracht" wird wieder zu hören sein. Das trifft sicher auf das Fernbleiben des Westens von den Olympischen Spielen 1980 in Moskau und die Retourkutsche des Ostens vier Jahre später in Los Angeles zu. Doch es gibt auch einen Boykott beziehungsweise Ausschluss mit positiven politischen Folgen. Der Widerstand von innen gegen das Apartheidsystem in Südafrika nahm auch deshalb zu, weil die Sportler des Landes jahrelang nicht an wesentlichen internationalen Wettbewerben teilnehmen konnten.

Wie verhält sich Russland?

Russland setzt seine Vorbereitung auf die WM 2018 fort. Ein Kreml-Sprecher sagte: "Alle Pläne werden umgesetzt, die Arbeit geht weiter." Russische Medien haben Blatters Rücktrittsankündigung als eine "unangenehme Nachricht" gewertet. "Der Rücktritt Blatters ist eine Tatsache, die für die russischen Interessen beunruhigend ist", meinte "Sport Express". Mit "fatalen Folgen" für die WM in drei Jahren rechnet das Blatt allerdings nicht, "da bislang nichts Ernstes (gegen Russland) bekanntgeworden ist".

Und Katar?

In seiner ersten Stellungnahme des Organisationskomitees (OK) nach Blatters Rücktrittsankündigung heißt es: "Die jüngsten Geschehnisse bei der Fifa haben keinerlei Einfluss auf unsere Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft 2022." Auf den Gegenwind aus großen Teilen der Fußball-Welt reagiert das OK ausgesprochen gelassen: "Katar war von Beginn an mit Kritik konfrontiert." Die Ermittlungen der US-Justiz sollen Katar stärker als bisher in Bedrängnis bringen. Laut des Schweizer "Tagesanzeiger" sollen die WM-Organisatoren wegen drohender Verhaftungen von ihren Anwälten vor der Einreise in die USA gewarnt worden sein.

Hat Katar Fürsprecher?

In Uefa-Präsident Michel Platini wissen die Katarer einen ihrer Unterstützer in guter Position, wenn es um Blatters Nachfolge geht. Eine kuriose Volte könnte die Geschichte aber nehmen, falls der Kuwaiti Ahmad al Fahad Al Sabah Fifa-Präsident werden sollte. Al Sabah ist ein erfahrener und einflussreicher Sportpolitiker. Schon Thomas Bach profitierte bei der Wahl zum IOC-Präsidenten von seinen Diensten. Katar und Kuwait sind beim Kampf ums Prestige erbitterte Rivalen am Persischen Golf.

(RP)
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