Blatter-Nachfolger Infantino ist neuer Fifa-Präsident

Zürich · Gianni Infantino ist zum neuen Fifa-Präsidenten gewählt worden und soll den Fußball-Weltverband aus der Krise führen. Das könnte mit dem verabschiedeten Reformpaket sogar gelingen.

Das bedeutet die Wahl von Infantino
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Foto: dpa, ss

Gianni Infantino klopfte sich immer wieder auf sein Herz, er hatte Tränen in den Augen, und ihm stockte die Stimme: Der neue Präsident des Fußball-Weltverbands Fifa hatte nach seinem deutlichen Triumph im zweiten Wahlgang sichtlich mit seinen Emotionen zu kämpfen.

"Uuufff! Wie soll ich meinen Gefühlen Ausdruck verleihen? Ich habe lange darauf gewartet", sagte der 45-jährige Schweizer auf dem Fifa-Kongress im Zürcher Hallenstadion: "Ich habe eine außergewöhnliche Reise hinter mir." Das Ziel könnte tatsächlich eine neue Fifa sein.

Im Zeichen der erschütternden Skandale hatte der Fifa-Kongress bereits vor der Wahl Infantinos zum Nachfolger seines Landsmannes Joseph S. Blatter (79) am Freitagmittag ein umfassendes Reformpaket verabschiedet. Mit dem bisherigen Generalsekretär der Europäischen Fußball-Union (Uefa) soll dieses in den kommenden Jahren perfekt umgesetzt werden.

"Die Fifa hat harte Momente hinter sich, Krisenmoment. Aber das ist jetzt vorbei", sagte Infantino: "Wir möchten den Respekt der ganzen Welt. Wir werden mit Hingabe arbeiten, so dass wir uns wieder auf dieses wundervolle Spiel konzentrieren können."

Der bisherige Uefa-"General", der nur wegen der Sperre gegen Uefa-Boss Michel Platini (Frankreich/60) für das höchste Fifa-Amt angetreten war, setzte sich im Kopf-an-Kopf-Rennen gegen seinen größten Konkurrenten Scheich Salman bin Ibrahim Al Khalifa (Bahrain/50) im zweiten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit von 115 der insgesamt 207 Stimmen durch. Für Scheich Salman votierten nur 88 Delegierte. Der jordanische Prinz Ali bin Al Hussein (40) mit vier Stimmen und Jérôme Champagne (57) aus Frankreich ohne jegliche Unterstützung in der zweiten Runde waren chancenlos.

Blatter: "Habe ihm Tipps gegeben"

Sogar Infantinos gesperrter Vorgänger Blatter hatte nach eigenen Angaben Anteil am Erfolg seines Landsmanns. "Ich habe mit Gianni in der Weihnachtszeit noch Glühwein getrunken und ihm Tipps gegeben", sagte Blatter dem ZDF. Er freue sich, dass der neue Fifa-Boss "wie ich" aus dem Ober-Wallis komme.

"Das war ein guter Tag für die Fifa, vielleicht sogar ein historischer, dass muss die Zukunft zeigen", sagte Fifa-Exekutivmitglied und Ex-DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (65): "Die Arbeit ist noch nicht beendet, sie beginnt mit dem heutigen Tag erst richtig. Ich traue Gianni zu, dass ihm die Wende in Sachen Ansehen und Glaubwürdigkeit der Fifa gelingt." Rainer Koch, Interimschef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) äußerte: "Zusammen mit dem Reformpaket macht das Mut und gibt Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Aber es gibt viel zu tun."

Beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wertete Präsident Thomas Bach Infantinos Wahl als Chance: "In diesen schwierigen Zeiten für den Fußball wünsche ich ihm alles Gute bei der Implementierung der beschlossenen Reformen."

Aus Sicht der Bundestags-Sportausschussvorsitzenden Dagmar Freitag besteht indes kaum Grund für Zuversicht: "Die Hoffnung ist gering, dass sich Entscheidendes ändern wird", sagte die SPD-Politikerin dem TV-Sender Sky Sports News HD:Wünschenswert wäre ein Kandidat gewesen, der nichts mit den alten Seilschaften zu tun hat."

Im ersten Durchgang Runde hatte keiner der insgesamt vier verbliebenen Kandidaten die für einen Sieg zunächst nötige Zweidrittelmehrheit erreicht. Der 62-jährige Südafrikaner Tokyo Sexwale hatte seine Kandidatur bereits vor dem ersten Urnengang zurückgezogen.

Infantino bestätigte in seiner Rede vor der Wahl allerdings auch viele seiner Kritiker. "Das Geld der Fifa gehört Ihnen", rief der Jurist in Richtung der Delegierten. Das war schon in den vergangenen Jahren die Taktik seines tief gefallenen Vorgängers Blatter: Gebt mir die Stimme, ich gebe Euch Geld.

Reformpaket verabschiedet

Aber Infantino "will das Richtige tun, das Richtige für die Fifa und den Fußball". Das Stunden vor seiner Wahl auf den Weg gebrachte Reformpaket wird dabei helfen.

Mit 179 von 201 gültigen Stimmen (89 Prozent) wurde das Paket um 11:21 Uhr von der großen Mehrheit abgesegnet. Unter anderem eine Gewaltenteilung, mehr Transparenz und Integrität sowie eine Frauenquote werden nun in die Fifa-Statuten implementiert. Die Veränderungen treten 60 Tage nach dem Kongress in Kraft.

"Sie haben die große Chance, ein neues Kapitel aufzuschlagen", hatte Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitee (IOC), zuvor eindringlich an die Vertreter der Fifa-Mitgliedsverbände appelliert. Ein Scheitern wäre "ein Albtraum" gewesen, sagte auch der frühere DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (65) im SID-Gespräch vor Kongress-Beginn.

Die einflussreichen Sponsoren der Fifa sowie die Justizbehörden aus der Schweiz und den USA hatten den Neuanfang vehement gefordert - alles andere hätte den Weltverband noch viel, viel tiefer in die Krise gestürzt.

Durch die wegweisende Entscheidung wird nun die Macht vom zuvor allmächtigen Fifa-Exekutivkomitee, das in eine Art Aufsichtsrat mit mehr Mitgliedern (36 statt 24, darunter mindestens sechs Frauen) umgewandelt wird, hin zum Generalsekretariat wandern.

In der neuen Schaltzentrale wird künftig das operative Geschäft mit den Milliarden-Deals abgewickelt. Der neue Rat (Fifa-Council) hingegen ist "nur" noch für die politische Richtung verantwortlich. Der neue und lediglich noch eher repräsentative Präsident ist dadurch nicht mehr der rechtliche Vertreter der Fifa und auch nicht mehr zeichnungsberechtigt.

Allerdings steckt dahinter der erste Fallstrick: Der neue und nunmehr sehr einflussreiche Generalsekretär wird künftig zwar nicht mehr vom Präsidenten ernannt und entlassen. Der neue Fifa-Boss schlägt aber weiterhin einen Kandidaten vor, der vom Council abgesegnet wird. Mit dem Nachfolger des Deutschen Markus Kattner, der die Verwaltung derzeit übergangsweise führt, steht und fällt deshalb fast der komplette Neuanfang.

Im neuen Rat wird zudem noch weiter der Großteil der Funktionäre sitzen, die in den vergangenen Jahren die Krise zu verantworten hatten. Der neue Integritäts- und Eignungscheck, der bei jedem neuen Ratsmitglied (gewählt wird weiterhin direkt in den Konföderationen) durchgeführt wird, fällt bei den Alteingesessenen aus. Auch gilt für die derzeitigen Exko-Mitglieder die neue Amtszeitbeschränkung (maximal zwölf Jahre) nicht rückwirkend, die Uhr wird auf null gestellt.

Über allem wird künftig die unabhängige Audit- und Compliance-Kommission stehen, die beispielsweise alle Geldflüsse überwacht. In den in Zukunft nur noch neun ständigen Fifa-Kommissionen werden deutlich mehr unabhängige "Externe" sitzen. Für die personelle Zusammenstellung ist allerdings auch der Rat zuständig.

Das Gehalt der hohen Amtsträger wird künftig veröffentlicht - was eine der meistgestellten Frage ("Was verdient Blatter?") endlich beantworten wird.

Die Skandale der Vergangenheit muss der Weltverband allerdings unabhängig von seiner Neuausrichtung finanziell teuer bezahlen. Kattner erklärte, dass die Fifa im Jahr 2015 erstmals seit langer Zeit wieder Verlust gemacht hat. Die konkreten Zahlen sollen beim Kongress Mitte Mai in Mexiko vorgelegt werden.

(ems/dpa)
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