Kolumne Gegenpressing Märchen mit Verfallsdatum

2016 wird Leicester City sensationell englischer Meister. Nun entlässt der Klub den Meistertrainer. Ist das undankbar? Nein, es zeigt den Fußball einfach so, wie er heute ist.

Claudio Ranieri – Wandervogel und Meistermacher
14 Bilder

Das ist Claudio Ranieri

14 Bilder
Foto: afp

Der Donnerstagabend hielt eine harte Prüfung für Fußball-Romantiker bereit. Der amtierende englische Meister Leicester City trennte sich von seinem Meistertrainer Claudio Ranieri. Das im Vorjahr wohl größte Fußball-Märchen aus den europäischen Top-Ligen fand also ein denkbar unromantisches Ende. Denn Ranieris Entlassung ("Mein Traum ist gestorben") war mehr als nur eine Personalentscheidung, sie führte jedem Romantiker grausam vor Augen, dass der Fußball zwar verlässlich Märchen liefert, aber jedes dieser Märchen von Beginn an auch ein Verfallsdatum in sich trägt.

Leicester City hat seinen italienischen Trainer nicht entlassen, weil den Verantwortlichen dessen Gesicht nicht mehr passte. Oder weil die Klubführung auf einmal neidisch war auf Ranieris Popularität bei den Anhängern". Der in Abstiegsnöten befindliche Klub stand einfach vor einer Entscheidung, vor der schon viele Klubs gestanden hatten: Wie lange wiegt früherer Erfolg aktuellen Misserfolg auf? Die Antwort, auf die Leicester kam und auf die jeder Verein früher oder später kommt, lautet: nicht lange.

Der Gewinn der Meisterschaft 2016 mit dem prognostizierten Kellerkind aus den East Midlands wird auf immer mit Ranieris Namen verbunden sein, und ziemlich sicher wird der 65-Jährige zeitlebens in den Restaurants der Stadt umsonst essen. Aber wer ernsthaft davon ausging, dass der thailändische Klub-Eigentümer in aller Seelenruhe mit Ranieri abgestiegen wäre, nur weil der halt sein Meistertrainer war, sieht den Fußball in einer Weise, wie er schon lange nicht mehr ist - gerade den englischen Fußball mit Traditionsvereinen in Firmenbesitz.

Dass Star-Trainer José Mourinho ("Englischer Meister und Fifa-Welttrainer des Jahres entlassen. Das ist der neue Fußball, Claudio. Kopf hoch, mein Freund! Niemand kann dir die Geschichte nehmen, die du geschrieben hast") und Englands Ex-Stürmerstar Gary Lineker ("Nach allem, was Claudio Ranieri für Leicester City getan hat, ihn jetzt zu entlassen, ist unerklärlich, unentschuldbar und herzzerreißend traurig") Ranieri verbal beisprangen, ist dann letztlich auch nicht mehr als durchschaubarer Populismus.

Es ist wichtig, dass der Fußball Geschichten wie die von Leicesters Titelgewinn schreibt. Weil das die Emotionen sind, von denen der Fußball lebt. Es ist aber derselbe Fußball, der auch die Geschichte von Ranieris Entlassung schreibt. Den einen ohne den anderen gibt es nicht. Diese Erkenntnis schließt Romantik im Fansein nicht aus - es macht das Märchen als Moment am Ende vielleicht noch wertvoller.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort