Die Überraschung der Bundesliga Das Phänomen Hertha

Berlin/Düsseldorf · Trainer Pal Dardai steht für Spielfreude und Spaß. Offensichtlich ein Erfolgsmodell.

Bundesliga, 26. Spieltag: Elf des Tages
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26. Spieltag: Elf des Tages

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Foto: dpa, soe lof

Michael Preetz steht im Spielertunnel des Berliner Olympiastadions. Er wirkt unsicher, stammelt nach dem 0:1 gegen Bayer Leverkusen halbgare Treuebekenntnisse zu Jos Luhukay in die Aufnahmegeräte der Journalisten. Einen Tag später entlässt der Manager von Hertha BSC seinen Trainer. Der Hauptstadtklub steht auf Platz 17. Auch Preetz muss um seinen Job bangen. Es gilt als sicher, dass sein Schicksal an das des nächsten Trainers geknüpft ist. Preetz setzt auf Pal Dardai. Etwas mehr als ein Jahr ist das nun her.

Am vergangenen Freitag steht der Manager im Olympiastadion am Spielfeldrand und grinst in die Kameras. Sein Verein hat Schalke 04 soeben mit 2:0 besiegt, steht auf Tabellenrang drei und ist nach 26 Spieltagen auf bestem Weg in die Champions League. Die Entwicklung der Berliner ist erstaunlich - und eng verknüpft mit der Personalie Dardai.

Den Ungarn als Cheftrainer zu installieren, war eine Entscheidung mit Risiko. Dardai hatte noch keine Erfahrungen im Profifußball, trainierte zu diesem Zeitpunkt die U 15 bei Hertha BSC und zugleich die ungarische Nationalelf. Bis zum Klassenerhalt der Berliner behielt der 39-Jährige auch den zusätzlichen Posten in seinem Heimatland. Danach machten ihm Preetz und Hertha-Präsident Werner Gegenbauer klar, dass er sich nur noch auf seine Aufgabe in Berlin konzentrieren müsse. "Zunächst war ich persönlich einen Tick verletzt, aber für meine Gesundheit war die Doppelbelastung wirklich unmenschlich", sagt Dardai, dessen Assistent Bernd Storck danach die EM-Qualifikation der Ungarn zu einem guten Ende führte.

Eine Überbelastung ließ sich damals und heute bei Dardai - zumindest äußerlich - nicht feststellen. Herthas Bundesliga-Rekordspieler (286 Einsätze) ist der Gegenentwurf zu großspurigen Konzepttrainern, die versuchen, mit Analyseprogrammen auf Laptops den Fußball auszurechnen. Er geht offen mit Fehlern um, ist klar in der Analyse, lockert die Stimmung mit flapsigen Kommentaren auf. Sein äußeres Erscheinungsbild ist ihm genauso egal wie Meinungsmache in Boulevardmedien. "Mich interessiert nicht, welche neue Jeans gerade in ist. Ich gehe um 22 Uhr ins Bett, um 6 Uhr ist Wecken, ich bringe die Kinder zur Schule, bin um 7.45 Uhr bei Hertha auf dem Gelände", sagt Dardai.

Und die Arbeit, die er dort leistet, kann sich sehen lassen. Hertha BSC vereint in dieser Saison kompaktes Defensivverhalten mit gepflegtem Pass- und kreativem Offensivspiel. Der Lohn ist die Momentaufnahme auf Platz drei. Vor Teams wie Borussia Mönchengladbach, Schalke 04, Bayer Leverkusen oder dem VfL Wolfsburg, für die eine direkte Qualifikation für die Königsklasse ein realistischeres Ziel ist.

Neben Dardai hat auch Preetz in dieser Spielzeit gute Arbeit vorzuweisen. Für vergleichsweise wenig Geld wurde im vergangenen Sommer effizient eingekauft. Mitchell Weiser (21, ablösefrei von Bayern München) räumt auf der rechten Seite defensiv auf und sorgt auch für Belebung im Angriffsspiel. Vladimír Darida (24, 3,8 Millionen Euro vom SC Freiburg) ist ideenreicher Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld. Niklas Stark (20, drei Millionen Euro vom 1. FC Nürnberg) machte als Innenverteidiger gegen Schalke einen überragenden Job inklusive Tor. Und Vedad Ibisevic (31, Leihe vom VfB Stuttgart) blüht nach trostlosen Jahren im Schwabenland in Berlin wieder auf, hat mit acht Toren großen Anteil am Höhenflug. Nur einer hat noch öfter getroffen: Salomon Kalou (30, zwölf Treffer), der in seinem zweiten Jahr bei Hertha sein großes Potential abruft.

Woche für Woche warten die Konkurrenten darauf, dass Berlin einbricht. Doch die "Alte Dame" zeigt eine Stabilität, die ihr keiner zugetraut hat. Nach einer hervorragenden Hinrunde wurde von Experten der Absturz prognostiziert. Und so sah es zunächst auch aus. Berlin startete mit vier Unentschieden und einer Niederlage ins neue Jahr, um dann aus den folgenden vier Spielen drei Siege zu holen.

Besonders der Sieg gegen Schalke weckt Hoffnungen, dass der häufig als graue Maus verschriene Hauptstadtklub im kommenden Jahr auf die europäische Bühne zurückkehrt. 1999/2000 war Berlin zuletzt in der Champions League aktiv. Auf dem Rasen im blau-weißen Trikot: Michael Preetz und Pal Dardai.

(erer)
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