England-Coach verteidigt Bundestrainerin nach Kritik "Die ganze Welt beneidet die Deutschen um Neid"

Edmonton · Im Ausland wird Silvia Neid förmlich verehrt, in Deutschland steht die Bundestrainerin mal wieder in der Kritik.

Silvia Neid: Europameisterin, Weltmeisterin, Olymiasiegerin
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Das ist Silvia Neid

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Foto: afp, mp

Mark Sampson verteidigte die Bundestrainerin, als ginge es um die Ehre der Queen. "Jeder, der bezweifelt, dass Silvia Neid eine der großartigsten Trainerinnen in dieser großartigen Sportart ist, liegt falsch", schwärmte der englische Frauenfußball-Nationalcoach, als er bei der Pressekonferenz in Edmonton vor dem Spiel seines Teams um den dritten WM-Platz am Samstag gegen die deutsche Nationalmannschaft auf dem Podium saß: "Sie hat einen großartigen Job gemacht, nicht nur mit dem Nationalteam, auch für den gesamten Frauenfußball in Deutschland. Die ganze Welt beneidet die Deutschen darum."

So sehr die Neid im Ausland als Lichtgestalt verehrt wird, so heftig wird die 51-Jährige von deutschen Kollegen nach Misserfolgen angegangen. Auch nun wieder, als die Tränen ihrer Spielerinnen nach der Halbfinal-Niederlage bei der WM in Kanada gegen Olympiasieger USA (0:2) gerade getrocknet waren.

Trainer Colin Bell vom Champions-League-Sieger 1. FFC Frankfurt verpasste der 111-maligen Nationalspielerin, die als Spielerin, Co- und Cheftrainerin an allen zehn deutschen Titelgewinnen beteiligt war, eine Breitseite. Neid sei zu passiv gewesen, auf dem Platz habe der jeweilige Matchplan und taktische Flexibilität gefehlt, so der Engländer. Seine Analyse übermittelte er dabei nicht im direkten Gespräch, sondern über die Medien, noch bevor das Turnier für das DFB-Team inklusive fünf seiner eigenen Spielerinnen beendet war.

Früher — vor ihrer merklichen Wandlung nach der auch durch ihre Fehler verpatzten Heim-WM 2011 — hätte die Bundestrainerin wohl patzig zum Gegenschlag ausgeholt. Doch die neue Neid blieb sachlich. Sie sei für Kritik aus Kollegenkreisen eigentlich dankbar, entgegnete sie: "Ich hätte es nur gut gefunden, wenn mich meine Bundesliga-Kollegen angerufen hätten. Dann hätte ich es ihnen erklärt, wir hätten darüber gesprochen."

Da sie nach der erfolgreichen Qualifikation noch bis Olympia 2016 in Rio an Bord bleibt und erst danach an die umstrittene Novizin Steffi Jones übergibt, lädt sie ihre Bundesliga-Kollegen nach der WM zu einer gemeinsamen Analyse der komplexen Frage, warum die Mannschaft in Kanada nicht konstant ihr ganzes Potenzial abgerufen hat. Wurde sie nach dem Viertelfinal-Aus 2011 als beratungsresistent kritisiert, hält Neid nun bewusst die Türen offen.

So traf sie sich schon während der Endrunde in Ottawa mit Bayer Leverkusens Trainer Thomas Obliers zum Gedankenaustausch. Bei der Vorbereitung auf das Duell mit der "Equipe tricolore" verpflichtete Neid spontan die beim Achtelfinale zwischen Frankreich und Südkorea auch anwesende Wolfsburger Co-Trainerin Britta Carlson zum Mit-Scouten.

Fragt man den Berufsgenossen Sampson, vermutet er als Ursache der wiederkehrenden öffentlichen Abrechnung eine Schwarz-Weiß-Mentalität. "Deutschland erwartet bei jedem Turnier den Sieg, alles andere gilt automatisch als Versagen", sagte der Waliser. Dabei habe das Turnier in Kanada doch bewiesen, wie klein die Abstände in der Weltspitze des Frauenfußballs geworden sind — das unerwartete Halbfinal-Debüt seiner "Lionesses" ist dafür der beste Beleg.

"Die Zeiten, als die USA und Deutschland auf dem Weg ins Finale alle Gegner 6:0 weghauten, sind vorbei. Jedes Team muss sich den Sieg in jedem Spiel verdienen. Und wenn die Abstände so gering sind, machen Kleinigkeiten den Unterschied", erklärte Sampson: "Deutschland hat gegen zwei der besten Teams, Frankreich und die USA, gespielt, und es fehlte am Ende nur ein kleines bisschen. Sie hätten das Turnier gewinnen können."

Seine Lobeshymne schloss der 32-Jährige mit einer Lektion für Bell: "So sehr ich Colins Meinung auch respektiere — die deutschen Leistungen in diesem Turnier zu kritisieren, ist sehr, sehr harsch."

(sid)
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