Analyse zur Frauen-WM Frauenfußball muss sich nicht rechtfertigen

Ottawa/Düsseldorf · Noch vor 45 Jahren war die Sportart verboten, vor 33 Jahren gab's keine Nationalelf. Als Prämie für den EM-Titel 1989 verteilte der DFB an die Spielerinnen ein Kaffeeservice mit Blumenmotiv. Seitdem hat sich einiges verändert.

Frauen-WM 2015: Thailand - Deutschland
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Deutschland schlägt Thailand 4:0

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Wenn es um die Entwicklung des deutschen Frauenfußballs geht, wird gerne die Geschichte von diesem Kaffeeservice mit Blumenmotiv erzählt. Als die deutschen Fußballerinnen 1989 zum ersten Mal den Titel bei der Europameisterschaft gewinnen, bekommen sie als Amateure keine Geldprämie ausbezahlt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sich dennoch eine besondere Anerkennung ausgedacht - er schenkt den Nationalspielerinnen stattdessen ein Kaffeeservice von Villeroy & Boch mit blauen, gelben und roten Blümchen drauf, 41 Teile insgesamt.

Die Zeiten haben sich gewaltig geändert. Sollte die deutsche Auswahl bei der derzeit laufenden Weltmeisterschaft in Kanada den Titel holen, würde jede Spielerin die Rekordprämie von 65.000 Euro vom Verband kassieren. Schon jetzt haben die Akteurinnen im Team von Bundestrainerin Silvia Neid mit dem Erreichen des Achtelfinals immerhin 10.000 Euro sicher.

Die Fans der Frauen-WM
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Vor allem finanziell hat sich also einiges entwickelt. Doch noch immer ist der Frauenfußball in einer absurden Rechtfertigungsrolle. Im Fernsehen ist oft die Floskel "Werbung für den Frauenfußball" zu hören. Ein Satz, der nur sehr selten bei den Männern verwendet wird. Es schwingt immer im Unterton mit, dass sich die Sportart im Besonderen anstrengen muss für ihre Legitimation. So, als ob man nach ausreichend schlechten Spielen alle Sachen wieder einpacken müsste.

Das ist natürlich schrecklicher Unfug. Man quält sich ja auch bei einer Männer-WM durch langweilige Kicks, ohne das ganze System in Frage zu stellen. Allerdings - Frauenfußball muss auch Kritik aushalten können.

Deutschland zählte lange nicht zu den Vorreitern in der Welt. Man nimmt heute Frauenfußball als Selbstverständlichkeit war. Doch noch vor 45 Jahren war der Sport hierzulande nicht erlaubt. 1955 beschloss der DFB auf seinem Verbandstag, Fußballspielen mit Damenmannschaften zu verbieten. In der damaligen Begründung hieß es, dass "diese Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd ist", dass "im Kampf um den Ball die weibliche Anmut schwindet und Körper und Seele unweigerlich Schaden erleiden" und dass das "Zurschaustellen des Körpers Schicklichkeit und Anstand verletzt". Erst seit 1982 gibt es eine Nationalelf. Gero Bisanz wurde als Bundestrainer abgestellt, eine Aufgabe, die er anfangs nur missmutig übernahm. Heute ist Silvia Neid im Amt. Sie stand als Spielerin beim ersten Länderspiel gegen die Schweiz am 10. November 1982 auf dem Platz.

In Kanada wird derzeit erst die siebte Frauen-WM veranstaltet. Es sind große Leistungsunterschiede zu sehen zwischen Ländern mit viel (Deutschland) und jenen mit wenig (Elfenbeinküste) Förderung. Die größte Leistung ist vermutlich, dass in vielen Staaten der Sport ausgeübt werden darf, unabhängig vom sportlichen Abschneiden.

Die Schweiz nimmt zum ersten Mal an einer WM teil. Ob sie den Sprung ins Achtelfinale schafft, war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht entschieden. Eine Deutsche ist für die Entwicklung bei den Eidgenossinnen verantwortlich. Martina Voss-Tecklenburg hat als Vereinstrainerin mit dem FCR Duisburg den Uefa-Pokal gewonnen. Als der DFB eine Nachfolgerin von Silvia Neid suchte, zählte die 47-Jährige nicht mal zum erweiterten Kandidatenkreis. Als Typ zu unbequem, zu schlecht innerhalb des Verbands vernetzt. Stattdessen übernimmt die unerfahrene Steffi Jones ab Herbst 2016 die Aufgabe. Beim DFB hatte man sich erst gar nicht die Mühe gemacht, die geeignetste Kandidatin zu suchen. Man entschied sich für den einfachsten Weg. Diese Herangehensweise ist aber keine Frage des Geschlechts.

(RP)
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