Analyse zur EM Frauenfußball braucht keine Rechtfertigung

Enschede · Die Nationalmannschaft hat bei der Frauenfußball-EM gruselige Spiele gezeigt. Dennoch ist es blanker Unfug, die ganze Sportart oder das System in Frage zu stellen.

Frauen-EM 2017: So trauert die deutsche Elf nach dem Viertelfinal-Aus
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So trauert die deutsche Elf nach dem Viertelfinal-Aus

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Foto: dpa, sab

Wim Thoelke nimmt sich 90 Sekunden Zeit, um seine Verachtung für den Frauenfußball zum Ausdruck zu bringen. Am 28. März 1970 berichtet das "Aktuelle Sportstudio" im ZDF erstmals über die Sportart. "Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen. Da hat Mutter eine wunderbare Flanke nach halblinks gegeben", kommentiert Moderator Thoelke eine Spielszene. "Laufen, Erna. Aber die Erna ist nicht flink genug. " Und als nach einer Landung eine Spielerin im Matsch liegt, tönt der Sportreporter: "Die brauchen sich doch gar nicht aufzuregen, die Zuschauer, die Frauen waschen doch ihre Trikots selber." Zum Abschluss hat er noch ein paar Ratschläge zur taktischen Ausrichtung: "Decken, decken! Nicht Tisch decken! Richtig, Mann decken! So ist's recht!"

15 Jahre zuvor, am 30. Juli 1955, hat der DFB auf seinem Bundestag in Berlin den Frauenfußball offiziell verboten. Nach dem Sieg der Fußball-Nationalmannschaft 1954 trafen sich auch immer mehr Frauen in den Hinterhöfen und auf den Bolzplätzen der Republik. Dem DFB war diese Entwicklung ein Dorn im Auge. In der Begründung heißt es: "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand." Als der DFB Anfang der 1970er schließlich einlenkt, ist das kein Zeichen des neu entdeckten Bewusstseins für Gleichberechtigung. Der Verband wollte lediglich verhindern, dass die Damen, wie es sich ankündigte, eine eigene Organisation gründeten. Also nahm man sie lieber auf und gängelte sie, so lang es ging.

Frauenfußball wird immer noch belächelt

50.000 Frauen zählte der DFB 1970 als Mitglieder. Heute sind es weit mehr als eine Million. Doch noch immer ist der Frauenfußball in einer absurden Rechtfertigungsrolle. Allzu oft ist noch die dümmliche Floskel zu hören "Werbung für den Frauenfußball" oder "das war keine Werbung für den Frauenfußball". Bei den Männern werden gute und schlechte Spiele nicht so eingeordnet. Sie sind eben einfach gut oder schlecht. Bei den Frauen schwingt dagegen immer im Unterton mit, dass sich die Sportart anstrengen muss für ihre Legitimation. So, als ob man nach ausreichend schlechten Spielen alle Sachen wieder einpacken müsste und dann die Sportart einfach wieder verboten wird.

Das ist natürlich Unfug. Man quält sich ja auch bei einer Männer-EM durch langweilige Kicks, ohne das ganze System in Frage zu stellen. Allerdings - Frauenfußball muss auch Kritik aushalten. Und zu der gehört: Bei dieser EM-Endrunde hat die deutsche Auswahl unter der Leitung von Bundestrainerin Steffi Jones gruseligen Fußball gespielt. Dementsprechend verdient war das Ausscheiden im Viertelfinale gegen Dänemark (1:2). Im Endspiel des Wettbewerbs morgen in Enschede (17 Uhr/live im ZDF und bei Eurosport) kommt es zum Duell zwischen Dänemark und den Niederlanden. Keiner von beiden konnte bislang den Titel gewinnen.

Seit 1989 hat Deutschland mit kurzer Unterbrechung den Kontinental-Wettbewerb dominiert - zuletzt hat die DFB-Auswahl ihn sechs Mal in Folge gewonnen. Für den DFB sind die Frauen zu einer "sicheren Bank" geworden. Mit ihnen schmückt man sich gerne. Weil sie so erfolgreich waren in den vergangenen Jahrzehnten und weil es so mancher Funktionär nach wie vor als schick empfindet, sich in der Rolle des Förderers zu präsentieren. Doch nun braucht die Damenabteilung keine klugen Ratschläge, sondern eine klare Strategie. Darf Jones weitermachen, ist eine der offenen Fragen. "Das ist eine bittere Lehrstunde für uns, wir hatten das klare Ziel, weiterzukommen", sagt Jones. "Ich würde gerne weitermachen."

Deutschland zählte lange nicht zu den Vorreitern. Erst seit 1982 gibt es eine Nationalelf. Gero Bisanz wurde als Bundestrainer abgestellt, eine Aufgabe, die er anfangs nur missmutig übernahm. Es folgten Tina Theune, danach Silvia Neid, die Vorgängerin von Jones. Neid stand als Spielerin beim ersten Länderspiel gegen die Schweiz am 10. November 1982 auf dem Platz. Neid steht für eine extrem erfolgreiche Ära. Ein Wechsel war dennoch gewünscht.

Jones war durch ihr Amt als "Direktorin Frauenfußball" in der Verbandszentrale in Frankfurt bestens vernetzt. Diesem Umstand ist es vor allem zu verdanken, dass sie ohne Erfahrung als Trainerin auf den Posten gehoben hat. Ganz neu ist dieses Vorgehen beim DFB nicht.

2004 wurde ein gewisser Jürgen Klinsmann bei den Männern Teamchef der Nationalmannschaft. Viele fanden das mutig. Bei Jones empfanden die meisten ihre Unerfahrenheit als Risiko. So unterschiedlich können Einschätzungen sein.

(gic)
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