Erneuter Umbruch steht bevor Schalke bleibt Schalke

Gelsenkirchen · Zur DNA des Gelsenkirchener Klubs gehört ein Schuss Tragik. Der Verein steht vor einem erneuten Umbruch.

 Schalker Spieler stehen nach dem Aus gegen Ajax Amsterdam ratlos auf dem Rasen.

Schalker Spieler stehen nach dem Aus gegen Ajax Amsterdam ratlos auf dem Rasen.

Foto: ap, ms

Für fast alle Außenstehenden stand der FC Schalke 04 am Donnerstagabend mit mehr als einem Bein schon im Halbfinale der Europa League. 3:0 gegen Ajax Amsterdam. Doch wer ein echter Anhänger des Vereins ist, dem war zu diesem Zeitpunkt ganz klar, dass die Mannschaft noch eine Möglichkeit finden würde, die Hoffnungen zu verspielen. So wie immer im Leben eines Königsblauen, wenn große Erwartungen binnen weniger Sekunden immer kleiner und kleiner und kleiner werden. Am Ende sollte sich auch diesmal die Befürchtungen bestätigen: Amsterdam erzielte in der zweiten Hälfte der Verlängerung noch zwei Tore.

"Das tut so weh, das tut wirklich so weh", sagte Benedikt Höwedes. "Wir sind alle Menschen und haben auch Gefühle." Der Kapitän sitzt schon seit seinem Wechsel zu Schalkes Jugend 2001 im gleichen Boot mit den Fans. Er kennt die Berg- und Talfahrt mit Gelsenkirchen wie kein anderer Spieler. Am Donnerstag war sie besonders brutal. Erst ging sie in schwindelerregende Höhe, ehe sie steil hinabstürzte. Die Aufholjagd nach dem 0:2 im Hinspiel war in vollem Gange. Tore von Leon Goretzka und Guido Burgstaller brachten die Verlängerung, die Schalke auch noch mit einem Mann mehr bestreiten durfte. Daniel Caligiuri köpfte zum 3:0 ein, der emotionale Höhepunkt war erreicht. Wie Schalke das Weiterkommen dann doch noch vergeigte, passte zum Verein. Glanz, Unvermögen und Pech in einer Aktion. Erst rettete Torhüter Ralf Fährmann mit einer Weltklasse-Parade, dann schlief die Abwehr bei Einwurf und Flanke. In den Befreiungsschlag von Matija Nastasic hielt der Niederländer Nick Viergever sein Bein. Der Ball prallte ab und schlug ein. Das 2:3 (Amin Younes) war dann nur noch eine leichte Verstärkung des herben Nackenschlags.

Wäre Schalke beständig erfolgreich, dann wäre es ja beliebig. Tragik ist fester Bestandteil der königsblauen DNA. Der Verein lebt von der romantischen Idee, vielleicht mal wieder so richtig erfolgreich sein zu können. So wie 1958, als zum bislang letzten Mal die Meisterschaft gefeiert werden konnte. Größter Erfolg seither: "Meister der Herzen" in der Saison 2000/2001. Nicht zu vergessen sind natürlich der Uefa-Cup-Sieg 1997 und vier Pokalsiege. Echte Schalker sind besoffen vor Liebe zu ihrem Verein. Sie haben das mit der Muttermilch aufgetankt. Anders ist der masochistische Hang nicht zu erklären, einem Verein die Treue zu halten, der sich immer wieder derart selbst zerstört.

Es sollte mal wieder alles besser werden. Neuer Sportvorstand. Neuer Trainer. Doch die Saison ist noch nicht beendet, schon sehen die Hoffnungsträger ganz schön alt aus. Christian Heidel ist es nicht geglückt, in den beiden von ihm verantworteten Transferphasen Personal zu finden, das mindestens die Grundvoraussetzung für eine Festanstellung auf Schalke erfüllt: bedingungsloser Einsatz - und zwar in jedem Spiel. Eine Charaktereigenschaft, die zu oft von hochtalentierten und ebenso hochbezahlten Kräften nicht eingebracht wurde. Ein Umstand, den man durchaus auch Markus Weinzierl anlasten kann. Er hat es bis heute nicht geschafft, Konstanz in die Auswahl zu bringen. Das internationale Geschäft ist in weite Ferne gerückt. Morgen (17.30 Uhr) ist ein Heimsieg gegen Leipzig Pflicht, wollen sich die Knappen auch in der kommenden Spielzeit auf europäischem Parkett bewegen. Der Anspruch von Schalke ist, sich langfristig unter den ersten drei Klubs in der Liga einzuordnen. Realistisch ist das natürlich mittelfristig nicht. Wie auch, wenn fast jedes Jahr ein Großteil des Teams ausgetauscht wird. Nun steht wieder ein Umbruch bevor.

Auf Schalke applaudieren die Fans gerne, wenn Nabil Bentaleb oder Max Meyer Kunststückchen mit dem Ball vollführen. Das ist aber nicht Grund ihres Besuchs. Sie kommen in die Arena, um Spieler wie Sead Kolasinac zu sehen. Kämpfertypen, die resolut zu Werke gehen, immer an der Grenze zum Überdrehen. Es steht zu befürchten, dass die Anhänger künftig auf die Grätscheinlagen von Kolasinac verzichten müssen. Einerseits, weil Schalke wohl nicht international vertreten sein wird und ein Klub wie der FC Arsenal anklopft. Andererseits, weil Kolasinac vom Verein erst jetzt die angemessene Wertschätzung entgegengebracht wird. Der Vertrag wurde nicht bereits in den Vorjahren verlängert. Eine Fehleinschätzung.

Meyer und Johannes Geis hingegen haben noch Verträge, doch sie finden keine passenden Rollen in Weinzierls System. Leon Goretzka passt ins Konzept, doch mit ihm (Vertrag bis 2018) ließe sich nur noch jetzt Geld verdienen.

31 Spieler umfasst der Kader, nur der von Werder Bremen ist größer (32). Heidels Aufgabe ist es, ihn zu straffen. Und endlich das zu erledigen, was seinen Vorgängern nicht gelungen ist: dem Kader einen passenden Mix aus spielerischer Qualität und Kämpfermentalität zu verpassen. Wintereinkauf Guido Burgstaller passt in dieses Anforderungsprofil. Das nährt die Hoffnung bei den Anhängern. Die Hoffnung darauf, dass Heidel Schalke in diesem Sommer bei der Suche nach sich selbst endlich einen Schritt voranbringt.

(RP)
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