Magische Nachspielzeit Klopps Mentalitätsmonster

Liverpool · Das Adrenalin hat sich langsam, aber stetig aufgebaut. Es ist eine Mischung aus Nervosität, Anspannung und sich bahnbrechender Freude. Diese intensive Hoffnung, das Bangen und gleichzeitige Flehen, den Gefühlen freien Lauf lassen zu können.

Borussia Dortmund: Fans klatschen für Jürgen Klopp
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BVB-Fans klatschen für Klopp

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Foto: Screenshot Sky

Unterbewusst merkt man, dass eine Sensation in der Luft liegt, etwas Großes machbar ist. Tritt das nicht mehr für möglich gehaltene ein, explodieren die Empfindungen tausender Menschen innerhalb von Millisekunden.

Die emotionale Detonation schlägt ein wie ein Blitz. Gefolgt von lautem Schreien, wildem Herumspringen oder chaotischem Übereinanderfallen. Eingangs erwähntes Adrenalin verwandelt sich auf den Tribünen in pure Energie, lässt erwachsene Männer zu Kindern werden, lässt sie die Anspannung und sich selbst völlig vergessen.

Eruption aus Leidenschaft, Freude und Glückseligkeit

Liverpool: Jürgen Klopp rastet nach Führungstreffer durch Lovren aus
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Klopp rastet nach Führungstreffer durch Lovren aus

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Foto: ap, FA

Die Akustik verwandelt sich von jetzt auf gleich in eine exzessive Eruption aus Leidenschaft, Freude und Glückseligkeit. Ein Torjubel wie beim 4:3 des FC Liverpool gegen Borussia Dortmund im Viertelfinal-Rückspiel der Europa League ist einer der wohl emotionalsten Momente, die man im Fußball erleben kann. Von der ganzen Gefühlspalette etwas. Und alles gleichzeitig. Angetrieben von einer Dramaturgie, einem vom Sport geschriebenen Drehbuch, das im Vorfeld wohl als zu kitschig abgetan worden wäre.

In der jüngeren Geschichte des FC Liverpool ist das wohl nur zu überbieten durch das legendäre Champions-League-Finale 2005 gegen den AC Mailand, als die Reds einen 0:3-Rückstand zur Halbzeit noch in ihren fünften Triumph in der Königsklasse drehten, 6:5 nach Elfmeterschießen gewannen. "Das Klopp-Wunder. Das werdet Ihr nie vergessen! Klopps Helden schaffen ein unfassbares Comeback, das an Istanbul 2005 erinnert. Jürgen Klopp trägt sich in die Galerie der Reds-Legenden ein", schrieb dann auch der Daily Mirror.

Zu einem gewissen Teil ist das, was am Donnerstagabend an der Anfield Road ein weiteres Stück Fußballgeschíchte schrieb, auch ein Werk von Mentalitätsmonster Jürgen Klopp. Der 48-Jährige ist für seine bisweilen wahnwitzigen Ausbrüche am Spielfeldrand bekannt. Gegen seinen Ex-Klub trieb er Publikum und Mannschaft gleichermaßen an, schrie seine Emotionen heraus, fuchtelte mit den Armen, jubelte, haderte und tobte.

Twitter-Reaktionen zum Sieg vom FC Liverpool
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Foto: afp

Nicht der erste späte Coup

Die denkwürdige Nachspielzeit gegen den BVB ist nicht der erste späte Coup, der seiner Mannschaft in dieser Saison gelungen ist. Dieser Glaube an sich bis zuletzt, diese Energie, noch einmal alles zu versuchen, haben die Reds schon zuvor unter Beweis gestellt.

Diese Fähigkeit hatte auch der BVB unter Klopp, unvergessen ist das 3:2 in der Champions League gegen den FC Malaga, ebenfalls im Viertelfinal-Rückspiel, mit zwei Toren in der Nachspielzeit. Ohne Frage war das eine Initialzündung für den späteren Einzug in das Endspiel.

Diese Mentalität hat Klopp offenbar auch dem FC Liverpool eingeimpft. Die Reds haben seit seinem Amtsantritt nicht oft spielerisch überzeugen können, befinden sich noch auf dem Weg, auch bedingt durch Personalprobleme, das System Klopp zu verinnerlichen. Dafür strahlen sie die emotionale Überzeugung ihres Trainers aus. "Jürgen Klopp beweist, dass er Wunder vollbringen kann. Liverpool erschien in dem Spiel bereits zweimal tot und beerdigt", schrieb der Independent.

"Den leichten Weg kann jeder gehen"

In der Halbzeitpause hat er seinen Jungs ein paar Spielszenen gezeigt und das Team angespornt: "Wir wollen und müssen Charakter zeigen! Doch die Mannschaft hat noch mehr getan. In der Halbzeit war es schwer, den Kopf oben zu halten. Aber wir haben uns gesagt: Den leichten Weg kann jeder gehen", sagte Klopp: "Kaum zu glauben, dass das passiert."

Torschütze Divock Origi sah in Klopps Halbzeitansprache den wichtigsten Faktor. "Er war sehr ruhig, überraschend ruhig", erklärte der Belgier. "Es spricht für die Klasse eines Trainers, wenn er nicht in Panik verfällt. Er glaubte an uns, und am Ende hat es geholfen", ergänzte Origi.

Dabei ist das für Klopp keine Premiere. Es ist das insgesamt fünfte Mal, dass der FC Liverpool in der Nachspielzeit noch einmal die letzten Reserven herauskitzeln konnte, physisch und psychisch noch einmal alles in die Waagschale warf. Und das erfolgreich.

In der Premier League sorgten Divock Origi (90.+6, 2:2 gegen West Bromwich), Joe Allen (90., 3:3 gegen den FC Arsenal), Adam Lallana (90.+5, 5:4 bei Norwich City) und Christian Benteke (90.+6, 2:1 bei Crystal Palace) für späte Freude bei den Reds. Unvergessen der kollektive emotionale Ausraster nach dem Sieg in Norwich, als Klopps Brille in der Jubeltraube zerstört wurde.

Gegen den BVB war es nun Dejan Lovren (90+1.), der zum 4:3 traf. Und ganz Anfield in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzte. Die Times brachte es auf den Punkt. "Es gibt Augenblicke im Leben, die immer im Gedächtnis der Menschen verbleiben. Erinnerungen, die sie lächeln und glauben lassen."

(are)
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