Nach Hooligan-Krawallen Uefa droht England und Russland mit EM-Ausschluss

Paris · Jagdszenen, Dutzende Verletzte, ein Mann ringt mit dem Tod - schwere Ausschreitungen überschatten den EM-Start. Die Uefa droht Russland und England sogar mit dem Ausschluss.

Schwere Ausschreitungen bei WM und EM
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Schwere Ausschreitungen bei WM und EM

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Foto: afp, LN

Ein Fan in Lebensgefahr, hässliche Jagdszenen in Marseille und Nizza - statt der im Vorfeld so gefürchteten Terroristen haben Hooligans Frankreich am ersten EM-Wochenende mit wahren Gewaltorgien in Angst und Schrecken versetzt. Die Uefa zeigte dem englischen und dem russischen Fußball-Verband daraufhin am Sonntagnachmittag die Gelbe Karte und drohte ungewöhnlich deutlich damit, beide Mannschaften von der EM auszuschließen.

Das Exekutivkomitee werde von Strafen "inklusive der möglichen Disqualifikation vom Turnier" nicht zurückschrecken, sollten sich Szenen wie am Samstag wiederholen, teilte die Uefa mit. Zuvor hatte das Disziplinarkomitee bereits ein Verfahren gegen den russischen Verband wegen des Verhaltens russischer Anhänger im Stade Velodrome beim Spiel England gegen Russland (1:1) eingeleitet.

Als erste Reaktion wurden nach den dortigen Vorfällen die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, auch für das Spiel von Deutschland gegen die Ukraine am Sonntag in Lille, vor allem aber das Hochrisikospiel am Donnerstag gegen Polen in St. Denis. In Lille kam es dennoch zu Ausschreitungen. Mehr als 50 deutsche Hooligans griffen am späten Nachmittag in der Nähe des Bahnhofs ukrainische Fans an. "Die französische Polizei hat sehr spät eingegriffen", sagte Volker Goll, stellvertretender Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS).

In Marseille kämpfte auch am Sonntag ein englischer Fan noch um sein Leben. Der blutüberströmte Mann, nach AFP-Informationen von einer Eisenstange am Kopf getroffen, war beileibe nicht das einzige Opfer. In Marseille und später auch in Nizza wurden mehrere Dutzend Verletzte gezählt.

Englische Regierung zeigte sich "zutiefst beunruhigt"

Die englische Regierung zeigte sich "zutiefst beunruhigt" über die Vorfälle in der südfranzösischen Hafenstadt. Sie bot den französischen Sicherheitsbehörden an, zusätzliche britische Polizisten zu entsenden, um beim Spiel zwischen England und Wales am Donnerstag in Lens unterstützend einzugreifen. Zugleich versprach sie Hilfe auch bei "der Beweisführung gegen jeden England-Fan, der in diese Unruhen involviert ist".

Die Uefa reagierte am Sonntag zunächst auf die zusätzlichen Ausschreitungen im Stade Velodrome in Marseille: Sie ermittelt gegen den russischen Verband wegen der Aggressionen russischer Zuschauer im Stadion, rassistischen Verhaltens ("Affenlaute") und des Abbrennens von Feuerwerkskörpern. Ob und wie der Verband bestraft wird, entscheidet sich am Dienstag.

"Mehrere Engländer sind im Krankenhaus", twitterte der britische Botschafter Julian King nach den Angriffen russischer Randalierer gegen Engländer auf einer Tribüne hinter einem Tor. Die Ordnungskräfte waren überfordert. Alexander Schprigin von der Vereinigung russischer Fußballfans bestritt die Beteiligung seiner Landsleute so vehement wie ignorant: "Es gab keine Probleme."

Frankreichs Medien waren angesichts der gewaltsamen Auseinandersetzungen in ihrem Land entsetzt. "Die Schande", titelte die Sport-Tageszeitung "L'Equipe", "Le Parisien" beschrieb die Vorfälle als "Szenen unerhörter Gewalt" und kritisierte, dass Frankreich es im Gegensatz zu den EM-Turnieren 2004 in Portugal und 2008 in Österreich und der Schweiz nicht geschafft habe, diese Auswüchse zu verhindern.

Russland ist vorbelastet

Harte Strafen drohen nun dem russischen Fußball-Verband, denn der WM-Gastgeber von 2018 ist vorbelastet. Erst kürzlich lief eine von der Uefa verhängte Bewährungsstrafe ab, dennoch gab sich Russlands Sportminister Witali Mutko direkt nach dem Auftaktspiel seiner Mannschaft noch gelassen. "Die WM 2018 ist ein ganz anderes Turnier", sagte er in Marseille. Der Fußball-Weltverband Fifa verurteilte derweil die "idiotischen Krawallmacher, die nichts mit dem Fußball und wirklichen Fans zu tun haben".

Unschuldig waren auch die Engländer nicht. "Wir sind enttäuscht von diesen Ereignissen und bitten alle Anhänger, die nach Frankreich kommen, sich respektvoll zu benehmen", erklärte Mark Whittle vom englischen Fußball-Verband zu den Vorfällen auf den Straßen von Marseille. Ermittelt wird gegen England nicht, weil es kein Fehlverhalten innerhalb des Stadions gab.

Die Spur der Gewalt führte in der Nacht zum Sonntag an der Cote d'Azur entlang weiter nach Nizza. Dort provozierten französische Jugendliche am Cours Saleya nordirische Fans, auch dort mussten Ordnungshüter die rivalisierenden Gruppen trennen. Sieben Personen wurden verletzt.

Bei den Krawallen in Marseille wurde auch ein Deutscher vorläufig festgenommen. Er muss sich voraussichtlich am Montag mit neun anderen Verdächtigen einem Schnellgericht stellen. Marseille hatte schon bei der WM 1998 schlechte Erfahrungen mit englischen Fans gemacht, als es zu Auseinandersetzungen mit Anhängern aus Tunesien gekommen war.

Der Direktions-Vorsitzende Antoine Boutonnet lobte ungeachtet der zahlreichen Verletzten die Vorgehensweise der Polizei. "Eine schnelle und wirksame Intervention der Ordnungskräfte hat es zumindest erlaubt, die Vorfälle einzudämmen", sagte er AFP.

Dieses Video zeigt Russlands Sportminister Witali Mutko nach dem Spiel vor dem russischen Fanblock in Marseille:

(sid)
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