EM-Teilnehmer im Porträt Capello-Aus brachte Russland frischen Wind

Nur mit einem Kraftakt und dank Neu-Trainer Leonid Sluzki hat es Russland überhaupt nach Frankreich geschafft. Bei der EURO will die Sbornaja Selbstvertrauen für die Heim-WM 2018 tanken.

 Seit Fabio Capello weg ist, läuft's bei Russland.

Seit Fabio Capello weg ist, läuft's bei Russland.

Foto: afp, pav

Russlands EM-Retter Leonid Sluzki ist mittlerweile ziemlich genervt. "Wie hart ich auch arbeite, ich muss immer jemanden etwas beweisen", sagt der Trainer der Sbornaja. Dabei wurde der 45-Jährige mit der rundlichen Figur und den roten Wangen vor wenigen Monaten noch als Held gefeiert, nachdem Russland mit vier Siegen aus den letzten vier Quali-Spielen doch noch den Sprung zur Europameisterschaft nach Frankreich geschafft hatte.

Doch kurz vor dem Turnier sieht sich Sluzki plötzlich mit den Vorbehalten von Fans und Fußball-Experten konfrontiert: Ist seine Doppelrolle als Trainer von ZSKA Moskau und russischer Coach nicht ein Problem? Schafft er es, die Gruppe B mit England, Wales und der Slowakei zu überstehen? Und - ganz wichtig - soll er Russland auf die Heim-WM 2018 vorbereiten? "Skepsis und Ablehnung", sagt Sluzki, ziehe sich durch seine gesamte Karriere.

Der wortkarge Sluzki, der nach dem Ende des teuren Missverständnisses mit dem Italiener Fabio Capello im August 2015 kurzentschlossen einsprang, würde nie seinen Anteil am Aufschwung der Sbornaja unterstreichen - aber dafür loben ihn seine Spieler umso mehr.

Sbornaja braucht keinen Dolmetscher mehr

"Das Wichtigste ist, dass sich die Atmosphäre verändert hat", sagt Roman Schirokow, Spielmacher von Spartak Moskau. Russland hatte seit März 2006 keinen russisch sprechenden Trainer mehr, die Ansagen erreichen nun ohne Dolmetscher ihre Adressaten. "Er hat ein paar Details an unserem Spiel verändert, wir spielen jetzt offensiver, aber auch ausgeglichener", sagt Schirokow: "Unsere Perspektive ist jetzt positiver, das ist genau das, was wir gebraucht haben."

Nach dem glanzlosen Aus in der Gruppenphase der WM 2014 in Brasilien und der zähen Quali geht es für Russland auch darum, in Frankreich Selbstvertrauen auf dem Weg zur Heim-WM 2018 zu tanken. Die Auswahl hat keine überragenden Einzelkönner mehr, aber dafür stärkt Sluzki das Kollektiv. Er gibt seinen Spielern um Kapitän Schirokow exakte Handlungsaufträge, stabilisierte so die verunsicherte Mannschaft - und ganz nebenbei stand der ehemalige Torwart auch noch jeden Tag beim Champions-League-Klub ZSKA auf dem Trainingsplatz.

Was nach der EM mit Sluzki passiert, ob er Russland auf die WM im eigenen Land vorbereiten darf, ist noch offen. Aber die Spieler wollen ihren Coach auf jeden Fall behalten. "Leonid weiß, wie man die besten Qualitäten der Spieler nutzt und erwartet nicht, dass sie Dinge tun, die sie nicht können", sagt Alan Dsagojew. Der Mittelfeldspieler kennt Sluzki bestens vom täglichen Arbeiten im Verein. Staatspräsident Wladimir Putin und Sportminister Witali Mutko werden sehr genau beobachten, wie sich Russland unter Sluzki schlägt.

Wie schnell Träume zerplatzen können, hat Sluzki schon einmal schmerzlich erfahren. Seine vielversprechende Karriere als Torwart endete jäh, nachdem er beim Retten einer Katze aus dem Baum des Nachbarn fiel. "Ich war ein Held in meinem Dorf", sagt er, "aber ich habe mir auch mein Knie verletzt."

(sid)
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