An Packing scheiden sich die Geister Unwort der EM oder "Heiliger Gral" des Fußballs?

Fauler Zauber oder die magische Formel, die den Fußball erklärt? An "Packing" scheiden sich die Geister.

Packing: Stefan Reinartz stellt Statistik-Modell vor
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So funktioniert "Packing"

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Foto: Screenshot ARD

Stefan Reinartz, das muss an dieser Stelle mal gesagt werden, hat drei Länderspiele für Deutschland bestritten. Doch nach seinen Auftritten 2010 gegen Malta oder drei Jahre später gegen Ecuador und die USA hat kaum jemand über ihn gesprochen. Auch nicht, als der Frankfurter Ende Mai im zarten Fußballer-Alter von 27 Jahren seine Karriere beendete. Bei der EM ist sein Name plötzlich in aller Munde.

Reinartz muss herhalten, wenn Joachim Löw seine Treue zu den formschwachen Mario Götze und Mesut Özil erklärt. "Götze kann mit einem Pass fünf oder sechs Gegner überspielen, das sind die wichtigen Spieler heute. Und das kann Özil auch", sagte der Bundestrainer. Hinter der Erkenntnis, dass es im modernen Fußball darauf ankommt, mit einer Aktion möglichst viele Akteure des Gegenüber auszuschalten, steckt Reinartz.

2014 gründete Reinartz, der damals noch für Bayer Leverkusen spielte, mit Kollege Jens Hegeler das Startup Impect. "Wir wollten Erfolg im Fußball messbar machen", sagt er im Gespräch mit dem SID. Hegeler und er hätten sich gefragt, "warum die gängigen Werte - Laufleistung, Passquote - alle eher wenig Aussagekraft in Bezug auf das Ergebnis haben."

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Foto: dpa, ks

Ihre Idee: Packing. Ein Wert, der misst, wie viele Kontrahenten ein Kicker mit Pässen überspielt. "Diese Gegner können ihr Tor nicht mehr verteidigen, sie sind 'gepackt' und aus dem Spiel genommen", sagt Reinartz. Sein Ex-Klub Leverkusen, Borussia Dortmund und Bundesliga-Aufsteiger RB Leipzig waren begeistert von diesem Ansatz und greifen nun ebenso auf die Dienste von Impect zurück wie DFB-Chefanalytiker Christopher Clemens.

Auch TV-Experte Mehmet Scholl war angetan und machte sich bei der ARD für Reinartz stark. Der Sender griff zu, und so durfte Reinartz nach dem Gruppenspiel der deutschen Elf gegen die Ukraine (2:0) vor einem Millionen-Publikum minutenlang für seine Firma werben. Scholl schwärmte: "Dieser Wert wird das Scouting und die Trainingsmethodik verändern. Du kommst auf ganz andere Spieler." Packing sei der einzige Parameter, der "eine wirkliche Aussagekraft über den Spiel-Ausgang" habe.

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Foto: dpa, mr

Andere Experten sind weniger euphorisch. Scholls alter Kumpel Oliver Kahn macht sich im ZDF fortwährend lustig über die angebliche Entdeckung des Heiligen Grals. Nach dem 0:2 der Offensivkünstler aus Belgien gegen Italien twitterte er vergnügt: "So Mehmet, jetzt erklär mir mal ganz genau die Packingrate." Ein Zuschauer sprach vom "Unwort" der EM, ein anderer ätzte, die Engländer hätten damit früher Spiele gewonnen: "Aber da hieß das noch kick and rush!" Hoch und weit - Gegner überspielen eben.

Reinartz argumentiert, dass der 7:1-Triumph der DFB-Elf gegen Brasilien im WM-Halbfinale 2014 mit herkömmlichen Daten nicht zu erklären gewesen sei. Die Seleço hatte mehr Ballbesitz, weniger Ballverluste, mehr zurückeroberte Bälle und sogar (Tor-)Schüsse. Aber: Deutschland überspielte 84 Verteidiger, Brasilien nur 53.

Packing zeigt auch, warum Deutschland trotz wackliger Abwehrleistung gegen die Ukraine gewann: 391 Gegner wurden überspielt (UKR: 162), davon 52 Verteidiger (19). Toni Kroos war für viele Beobachter der beste Mann auf dem Platz - kein Wunder: Er nahm 112 Ukrainer aus dem Spiel. Jedoch: Gegen Polen lautete die Bilanz 407:211 (41:34 Abwehrspieler) - Ergebnis: 0:0.

(seeg/sid)
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