TV-Experten im Vergleich Kahn und Scholl haben die Rollen getauscht

Meinung | Düsseldorf · Die Spiele zwischen Wales und Nordirland (1:0) sowie Portugal und Kroatien (1:0 n.V.) ließen viele Zuschauer auf dem heimischen Sofa gegen den Minutenschlaf kämpfen. Interessanter war es, die Experten von ARD und ZDF zu analysieren. Und dort gab es einen klaren Sieger.

 Oliver Kahn im Gespräch mit Oliver Welke und Ivan Klasnic.

Oliver Kahn im Gespräch mit Oliver Welke und Ivan Klasnic.

Foto: Screenshot ZDF

Die Programmplanung von ARD und ZDF machte den direkten Vergleich möglich. Erst analysierte Mehmet Scholl im Tandem mit ARD-Moderator Matthias Opdenhövel das zähe Duell der britischen Teams, dann gab Oliver Kahn für das ZDF im Gespräch mit Oliver Welke und Ex-Profi Ivan Klasnic seine Experten-Einschätzung zum enttäuschenden Kick zwischen den nach der Gruppenphase als Geheimfavorit gehandelten Kroaten und den Portugiesen um Superstar Cristiano Ronaldo ab. Klarer Sieger nach Punkten: Kahn.

Denn während Scholl auf Polemik setzte, blieb Kahn sachlich. "Mit unserer Sportart Fußball hat das nichts zu tun. Schlechter geht es nicht", echauffierte Scholl sich schon in der Halbzeit über die Partie zwischen Wales und Nordirland. Es sei Wahnsinn, dass eines der beiden Teams ins Viertelfinale einziehen würde. So viele technische Schwächen habe er in einem EM-Achtelfinale noch nie gesehen, sagte Scholl. Das war ja auch erst das zweite EM-Achtelfinale der Historie, wollte man ihm zurufen, aber das wäre dann wohl doch etwas kleinkariert. Nach dem Spiel fiel Scholls Fazit kurz und knapp aus. "Für Fußball-Liebhaber gab es gar nichts zu erkennen, rein gar nichts. Aber es war spannend und wir haben es überstanden."

Das dritte EM-Achtelfinale der Historie präsentierte sich in einem ähnlich hässlichen Gewand. Dabei waren die Erwartungen an das Spiel nach den Vorrunden-Auftritten der Kroaten und dem extrem unterhaltsamen 3:3 der Portugiesen im letzten Gruppenspiel gegen Ungarn hoch gewesen. Sie wurden jedoch auf ganzer Linie enttäuscht. Nach 90 Minuten fehlte es beiden Teams nicht nur an Toren, sondern gar an Schüssen auf das Tor. Letztendlich zog Portugal ins Viertelfinale ein, weil Ricardo Quaresma den ersten Torschuss seines Teams in der Verlängerung im Kasten der Kroaten unterbrachte.

Im ZDF-Studio herrschte Ernüchterung. "Das Spiel war sehr langweilig", sagte der Kroate Klasnic und bei dieser Einschätzung konnte es keine zwei Meinungen geben. "Ich habe mich über die letzten 120 Minuten gefragt, was das war", sagte Kahn. "War das jetzt eine taktische Meisterleistung?"

Kahn versucht ja nur, zu erklären

Dann erklärte der Ex-Keeper, wie die Portugiesen aggressiv gegen den Ball gearbeitet und so die kroatischen Kreativspieler Luka Modric und Ivan Rakitic komplett aus dem Spiel genommen hätten. "Ich weiß nicht, ob das eine Gruseltaktik ist", sagte Kahn. "Klar kann man polemisch sagen: 'Was für ein Dreckspiel, warum habe ich mir das angeguckt?' Aber wenn man sich anschaut, wie die portugiesischen Spieler sich in der Defensive 120 Minuten lang verausgabt haben, dann muss man auch einfach mal akzeptieren, dass man mit einer defensiven Taktik weiterkommt." Attraktiv sei natürlich was anderes, gab Kahn zu und sagte fast entschuldigend: "Ich versuch's ja nur, zu erklären." Und genau das ist sein Job.

Ein wenig bekommt man als EM-Zuschauer das Gefühl, als wären Kahn und Scholl in die Körper des jeweils anderen geschlüpft. Scholl, als Profi auch wegen seines lockeren Auftretens außerhalb des Platzes Publikumsliebling und Kahn, der so verbissene, vermeintlich vom Ehrgeiz zerfressene Welttorwart, der von seinem Mitspielern "Eier" zu fordern pflegte. Als Experten spielen sie ihre Rollen ganz anders.

Scholl greift nicht nur zu Polemik, sondern entpuppt sich als notorischer "Taktik-Hasser". "Die Spieler machen viele technische Fehler, weil sie zu sehr mit der Taktik beschäftigt sind", sagte Scholl während der Vorrunde über die Gründe für die torarme EM. Beim Achtelfinale zwischen der Schweiz und Polen analysierte er, die Schweiz sei taktisch zu überladen und nicht frei gewesen. In der zweiten Hälfte habe sie die Taktik dann über Bord geworfen, danach sei es besser gelaufen. "Scholl macht einen verbreiteten Fehler: Er setzt Taktik mit Defensivtaktik gleich", schrieb Taktik-Experte Tobias Escher von spielverlagerung.de schon während der Vorrunde in seiner RP-Kolumne.

Zu Hochform läuft Scholl auf, wenn es darum geht, das Outfit von Cristiano Ronaldo zu kommentieren. Als der angeschlagen in die EM gegangene Portugiese vor dem Spiel gegen Österreich mit Kompressionsstrümpfen aus dem Mannschaftsbus stieg, witzelten Opdenhövel und Scholl über die "Strapse" das dreimaligen Weltfußballers. "Ich stelle mir gerade vor, ich wäre so vor Oliver Kahn und Lothar Matthäus eingelaufen. Da muss ich selber lachen, wie die geschaut hätten", sagte Scholl.

Während man bei Scholl den Eindruck bekommt, er wolle sich als Experte mit "klarer Kante" profilieren, wirkt Kahn auf viele Zuschauer, man traut es sich kaum zu sagen, sympathisch. Kahn analysiert mal sachlich, mal humorvoll, ohne sich dabei selbst zu wichtig zu nehmen. Vor allem bei Torwartszenen bezieht er klar Position, zumeist jedoch ohne Häme gegenüber den Ex-Kollegen.

Auch das Zusammenspiel mit Moderator/Comedian Welke kommt bei vielen Zuschauern besser an, als das Tandem der ARD. Das liegt unter anderem daran, dass die Rollen im ZDF klarer verteilt sind. Welke ist für Sarkasmus und Frotzeleien zuständig, die Kahn je nach Ziel der Attacken entweder verwertet oder lässig einsteckt. Scholl indes spielt sein eigenes Spiel, die Vorlagen von Opdenhövel lässt er je nach Lust und Laune auch mal links liegen.

(areh)
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