EM-Tagebuch Uefa und Regengott machen gemeinsame Sache

Die Sonne hat Pause in Evian. Das ist aber halb so wild. Fußball auf der Terrasse zu verfolgen, ist ohnehin nicht möglich. Dann wird eben in den bunten Wirtshäusern gefachsimpelt.

 Robert Peters berichtet für die RP von der EM in Frankreich.

Robert Peters berichtet für die RP von der EM in Frankreich.

Foto: Phil Ninh

Den Segnungen der sozialen Netzwerke verdanke ich von Zeit zu Zeit ein Auffrischung der Erinnerung. Das ist in zunehmendem Alter eine feine Sache. Gestern trug mich das Netzwerk meiner Wahl zwei Jahre zurück nach Brasilien. Auf meinem kleinen Wundertelefon, mit dem man vieles besser kann als telefonieren, ist ein Foto zu erblicken, das ich vor 24 Monaten in Porto Seguro gemacht habe. Dort, in der Nähe zu Jogis legendenumwobenen Campo Bahia, lebte ich damals. Das Foto zeigt einen bemerkenswerten Regenschauer, etwa so blickdicht wie ein Duschvorhang. Ja, ja, denke ich, im Nordosten von Brasilien, da regnet es schon mal. Auch mehrmals, und wenn es regnet, dann regnet es richtig. 150 Liter Wasser fallen im langjährigen Schnitt im Juni auf den bedauernswerten Quadratmeter.

Dagegen ist Evian-les-Bains, in dem zwei Jahre später Jogis nächstes noch nicht legendenumwobenes Teamquartier auf dem Hang über dem See thront, geradezu staubig. Schlappe 82 Liter Wasser fallen im Schnitt im Juni auf jeden Quadratmeter von Jogis Trutzburg - und natürlich auch auf jeden Quadratmeter neben Jogis Trutzberg, wenn dieser Quadratmeter denn in Evian liegt. Das entnehme ich ebenfalls meinem kleinen Wundertelefon.

Zurzeit gibt sich der Regengott alle Mühe, das statistische Soll lange vor Monatsende zu erfüllen. Das heißt: Manchmal rieselt es, manchmal gießt es - jedenfalls fällt mehr Wasser vom Himmel, als ein durchschnittlicher Juni-Tag leisten muss (nach zuverlässigen Berechnungen 2,7 Liter/Quadratmeter). Damit gibt sich der Regengott von Evian-les-Bains nicht zufrieden. Und es hat den Anschein, als liege er unter den führenden Regionalgottheiten deutlich vor dem Fußballgott.

Das lässt der wiederum nur ungern auf sich sitzen, und er schickt jeden Abend Direktübertragungen der Vorrundenspiele in die Welt der Wirtshäuser am Genfersee. Die Uefa hat den Betreibern aber verboten, ihre Fernsehgeräte auf die Terrasse zu stellen. Sie hat sicher gewusst, dass draußen im Juni der Regengott das Sagen hat. Und Begegnungen mit Feuchtigkeit haben Fernsehapparaten noch nie gefallen.

Deshalb spielt sich auch mein fußballerisches Abendleben in weitgehend geschlossenen Räumen ab. Dort hat der Regengott nichts zu sagen. Denn dort herrscht der Fußballgott vom Genfersee, und seine Jünger sind versammelt. Die Jünger, das sind meine Kollegen und ich, die wir aus unseren Behausungen am Hügel in die bunten Wirtshäuser am Ufer geeilt sind. Voller Hingabe diskutieren wir die Vorzüge der italienischen Dreierkette am Beispiel Juventus Turin, die Schönheiten des Alters am Beispiel Bastian Schweinsteiger, die taktische Wirkung des Gesangs am Beispiel Gigi Buffon. Wir freuen uns an der Poesie von Wörtern wie "abkippender Achter", "Raute", "hohes Verteidigen", "Pressing" und (immer noch am besten) "Gegenpressing".

Zwischen Salatschüsseln und Weingläsern stellen wir la Mannschaft am Abend zwanzigmal neu auf. Und wir sind uns einig, dass wir längst schon Europameister wären, wenn der Trainer einmal auf uns hören würde.

Leider lässt sich von la Mannschaft niemand in den bunten Wirtshäusern blicken, damit wir ihr das ausrichten können. Vielleicht hat das auch die Uefa verboten, oder la Mannschaft hat Angst, sich den Verheerungen des Regengotts auszusetzen, wenn sich kein Betreuer um die Beseitigung der schrecklichen Folgen kümmert.

Ich mach auf alle Fälle schnell noch ein Foto, damit mich das Netzwerk meiner Wahl in zwei Jahren daran erinnert, was der Regengott von Evian-les-Bains im Juni 2016 getan hat. Sicher ist sicher.

(RP)
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