EM-Tagebuch Sänk ju for träwelling with französische Bahn

Bahnfahren ist eine wichtige Disziplin für unseren EM-Reporter. Er lernt dabei Menschen, Frauen, Kinder und Hunde kennen.

 RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich.

RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich.

Foto: Phil Ninh

Zu den bezaubernden Begleiterscheinungen dieser Europameisterschaft gehören die Bahnreisen. Die berühmten französischen Hochgeschwindigkeitszüge sind ein Erlebnis. Sie fahren nicht nur meistens ziemlich schnell, sondern sie übertreffen in ihrer sozialen Funktion sogar die in DFB-Kreisen längst legendäre Fähre über den Rio Joao de Tiba zum Teamquartier Campo Bahia, die großen Anteil am Gewinn der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren hatte.

Der inzwischen nicht minder legendäre ehemalige Generalsekretär Helmut Sandrock hatte mit einem Wort für die Geschichtsbücher versprochen, es werde "Treffpunkte mit Menschen, Frauen und Kindern" geben. Die gab es dann auch. Podolski tanzte mit Indianer-Kindern, und ich lernte einen Brasilianer kennen, der die deutschen Philosophen des Idealismus verehrte und in den Bergen am Meer lebte.

In französischen Hochgeschwindigkeitszügen habe ich Treffpunkte mit Menschen, Frauen, Kindern und Tieren. Jawoll, auch mit Tieren. Sandrock würde blass vor Neid.

Eines dieser Tiere ist ein Hund der Kategorie, die bei uns den Halter zu allerlei Eignungstests verpflichtet, weil die Behörden festgestellt haben, dass Gefahr in erster Linie von jenem Wesen am anderen Ende der Leine ausgeht - vom Halsband aus betrachtet. Dieser Hund ist ziemlich groß und dunkelbraun. Seine Ohren hat man offenbar beschnitten, was ihn noch ein bisschen gefährlicher aussehen lässt. Zum Glück trägt er eine Art Maulkorb, eine Bandage mit Klettverschluss. Vom Herrchen ist zunächst mal nichts zu sehen.

Der Hund liegt im Gang vor der Toilette, direkt hinter einer Schiebetür, die dann und wann auf- und wieder zugeht. Wenn sie aufgeht, schaut mich der Hund aus dunklen Augen an. Und als er sich mit ein paar kleinen Verrenkungen der Pfoten die Bandage vom Maul geschoben hat, beschließe ich erstens, ganz woanders hinzuschauen und zweitens, frühestens an der Endstation in drei Stunden wieder eine Toilette aufzusuchen.

Weil ich nun angestrengt die Sitzgruppe nebenan in Augenschein nehme, fällt mir auf, dass der Nachbar auf der anderen Seite des Ganges genauso aussieht wie die Kerle auf den Fahndungsbildern. Er hat außerdem viele Taschen dabei und fummelt die ganze Zeit in einem Rucksack herum. Das macht mich noch nervöser als der Hund im Gang.

Während der mich weiter im Visier hat, befördert der Herr vom Fahndungsfoto kleine tragbare Lautsprecher ans Tageslicht des Waggons. Zum Aufladen schließt er sie an die Steckdose in der Toilette an, den Hund würdigt er keines Blickes, und der hat mir genug zu tun. Unterdessen ist Herrchen eingetroffen und versichert allen in seiner Nähe, dass der Hund "Dertutnix" heißt - auf Französisch natürlich.

Der Herr vom Fahndungsfoto kehrt zurück, sinkt in seinen Sitz und offenbart für die nächsten drei Stunden die Folgen längeren Schlafentzugs. Er ratzt, dass es eine Freude ist. Der Hund schaut unverwandt in meine Richtung. Und er lässt sich von dieser unerhört wichtigen Aufgabe auch nicht ablenken, als ihn ein wohl sechsjähriges Mädchen voller Hingabe den mächtigen Kopf zu kraulen beginnt. Ich überlege, ob ich die Gunst der Minute nutze und zur Toilette sprinte, aber da guckt er schon wieder so dunkel. Ich beschließe, Zugtoiletten überbewertet zu finden und verschaffe mir Trost in dem Gedanken, in einem Hochgeschwindigkeitszug zu sitzen, dessen natürliche Aufgabe darin besteht, einen in erstaunlich hoher Geschwindigkeit von einem Bahnhof zum anderen zu bringen. An jenem anderen Bahnhof gibt es bestimmt Toiletten, vor denen kein Kampfhund liegt.

Da wird der Zug langsamer, schließlich hält er in irgendeiner bemerkenswert leeren Landschaft. Eine Durchsage spricht von technischen Problemen, sie bedauert die kleine Verzögerung. Die kleine Verzögerung dauert anderthalb Stunden. Ich versuche, nicht an plätschernde Bergbäche zu denken. Der Hund liegt immer noch da, und der Herr vom Fahndungsfoto schnarcht.

(RP)
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