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EM-Tagebuch Die Party ist für mich leider vorbei

Marseille · Am "Match-Day" wird alles so gemacht wie bei La Mannschaft, oder zumindest so ähnlich. Das ist ganz schön anstrengend, obwohl die Kopfhörer nicht so groß sind wie die von "Scherohm" Boateng. Vieles bekommt man aber überhaupt nicht mit, weil man im Tunnel ist.

 RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich

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Foto: Phil Ninh

Ich hab's jetzt auch mal so gemacht wie die Spieler von La Mannschaft. Nach einem guten Frühstück gehen die Spieler am "Match-Day", so nennen sie den Spieltag, zum leichten Anschwitzen in einen Trainingsraum oder auf den Platz. Mir reicht dazu ein Spaziergang bei 30 Grad am Morgen. Und da wird schon deutlich mehr als nur angeschwitzt, aber es steht ja auch wahrlich Großes bevor, ein Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft.

Die Profis verzehren nun ein leichtes Mittagessen, ich stelle bei der Gelegenheit fest, dass sie schon auch viel essen, wie der Jogi sagen würde, klar. Es muss ja nicht gerade so viel sein, wie sich die Sportkameraden von der Tour, die im Moment durchs Land radeln, reinschaufeln - 12.000 Kalorien verbrennen die pro Tag.

Bei mir wird das leichte Mittagessen in Ermangelung von geeigneten Speisen durch ein ziemlich üppig belegtes Baguette ersetzt, von dem selbst die Tour-Profis leben könnten, einen halben Tag zumindest. Aus der Mittagsruhe, die der Jogi seinen Jungs fürsorglich verordnet, wird nichts, weil ich noch schnell was schreiben muss. Außerdem liegt das Baguette so schwer im Magen, dass aus der Ruhe sowieso nichts würde.

Gegen 16 Uhr nehme ich mir vor, mich nun endlich aufs Spiel zu fokussieren. Das macht man nämlich so. Ich lege mich aufs Bett, stöpsel die Kopfhörer ein und lasse mich berieseln. Im Unterschied zu den richtigen Fußballspielern höre ich weder HipHop, noch trage ich monumentale Kopfhörer wie "de Scherohm" Boateng, der damit immer aussieht wie Micky Maus mit zu langen Beinen.

Meine Kopfhörer sind eher unscheinbar, und ich höre auch keine HipHop-Musik, obwohl das in Marseille, der Hauptstadt des französischen HipHop, eine angemessene Verbeugung vor jüngeren Traditionen wäre. Ich begnüge mich zumindest vorläufig mit James Taylor und entspanne wie der leibhaftige Jogi. Um 17 Uhr ist mir schon fast alles egal.

Im Mannschaftsbus der Journalisten rollen wir zum Stadion. Das heißt: Manchmal rollen wir zum Stadion. Meist stehen wir. So komme ich in den Genuss, ein wirklich sehenswertes Quartett von französischen Fußballfreunden in der Stunde, die wir für ein paar Kilometer vom Hotel zum Velodrome benötigen, gleich mehrmals zu treffen. Die Jungs überholen uns vor jeder großen Kreuzung und vor jedem Kreisverkehr. Zu Fuß.

Wir schließen Freundschaft, indem wir abwechselnd den Daumen zum Zeichen recken, dass es uns mächtig gut geht. Mir, weil ich die schöne Aussicht genieße, ihnen, weil sie offenkundig viel Spaß miteinander haben.

Der Erste trägt die Irokesenperücke in Nationalfarben, die bald ausverkauft sein muss, weil wirklich sehr viele Menschen damit herumlaufen. Der Zweite hat etwas Undefinierbares - natürlich in Nationalfarben - auf dem Kopf, der Dritte den gallischen Hahn, der Vierte einen Sonnenschirm (in Nationalfarben). Sie winken mit einer Ausdauer, dass ich beinahe schon vergesse, fokussiert zu sein.

Ich ermahne mich entsprechend und stelle fest, wie schwer es ist, ein Profi zu sein. Doch dann bin ich im Tunnel. Und ich bekomme gar nicht mit, dass wir uns seit ein paar Minuten durch eine Art Geschäftsviertel bewegen. .

Ich sehe deshalb auch nicht, dass es bei "Opaca.Lo.Cash" Halal-Burger gibt und die billigsten Getränke nördlich von Afrika. Es ist mir auf ewig verborgen, dass das Restaurant "Le Capriccio" ein Mittagsmenü für zehn Euro anbietet. Vielmehr: angeboten hat, denn es ist vergittert, verriegelt, verrammelt und mit Graffiti verziert. Bei den Preisen muss man ja in die Pleite segeln, hätte ich eigentlich gedacht. Aber ich hab's in meinem Tunnel ja nicht wahrgenommen.

Im Stadion mache ich ein paar Aufwärmübungen auf den Treppen zum Medienzentrum. Den Aufzug lasse ich locker stehen, mit vier Wochen alpiner Spielvorbereitung in Evian sind vier Etagen ein Klacks - denke ich. Oben pfeife ich ungefähr so wie nach der Erstbezwingung des Bergs in Evian. Ich lasse mir nichts anmerken und spreche erst mal eine Stunde lang nicht.

Dann wird's auch schon Zeit für die Tribüne. Ich bleibe fokussiert, 45 Minuten, 90 Minuten. Hilft aber nicht. La Mannschaft verabschiedet sich aus dem Turnier.

Auf dem Rückweg bin ich nicht mehr fokussiert. Deshalb sehe ich viele Moped-Fahrer mit französischen Fahnen und tausende feiernde Menschen. Es ist die erste große EM-Party.

Für mich ist sie leider vorbei.

(RP)
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