EM-Tagebuch Staatsbesuch mit Torwartwitzen

Paris · Eine Viertelstunde pro Tag ist das Training von La Mannschaft in Evian öffentlich. Ein großes Privileg. Außer ein bisschen Gymnastik und ein paar Plaudereien gibt es nichts zu sehen. Dafür bleibt Zeit für Styling-Gedanken.

 RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM aus Frankreich.

RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM aus Frankreich.

Foto: Phil Ninh

Wenn der Fußball-Adel vom Berg ins Tal zum Training kommt, dann ist vorher immer ein großes Hallo. Sicherheitskräfte zischen Zahlencodes in knarzende Gegensprechgeräte. Ordner schauen noch gewichtiger als sonst. Kameraleute bauen ihre Stative auf, Fotografen lauern auf den besten Laufweg zum idealen Platz. Ein paar Reporter bringen ihre Handys in Anschlag für ein Erinnerungsfoto für die Lieben in der Heimat. Andere schnarren den Daheimgebliebenen aufgeregte Sätze der Hoffnung in die mobilen Telefone. "Gleich kommen sie, in fünf Minuten, ich seh' schon die Ersten." Es ist wie vor einem Staatsbesuch.

Und das ist ja auch kein Wunder. Denn bald gibt es 15 Minuten freien Blick auf die Leibesübungen der deutschen Nationalmannschaft. Das ist ein großes Privileg. Ich bin der Uefa und dem DFB sehr dankbar. Eine Viertelstunde darf ich zuschauen, wie Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira ihre teuren Luxuskörper strecken und dehnen, wie sie ein Stückchen hierhin traben und ein Stückchen dorthin. Ich darf bewundern, wie sie lässig und bester Laune ein paar Bälle hin- und herspielen. Ich bin Augenzeuge, wenn Manuel Neuer etwas zum BTT (DFB-Deutsch für Bundestorwarttrainer) Andreas Köpke sagt und anschließend beide lachen. Das Richtmikrofon habe ich leider vergessen, deshalb kann es über den Inhalt des amüsanten Gesprächs an dieser Stelle auch nur Mutmaßungen geben. Wahrscheinlich hat Neuer den neuesten Torwartwitz erzählt: "Kommt ein Torwart zum Arzt. Sagt der Arzt: Sie kommen zu spät." Bruhaha!

Vielleicht hatte aber auch Köpke schon vorher etwas aus seinem bewegten Leben preisgegeben. Möglicherweise, wie er selbst einmal Europameister wurde, und dass damals alle beim Training zuschauen durften. Die ganze Zeit. Neuer hat das gar nicht glauben können. Und als Köpke dann noch sagte, dass ganz früher die Spieler am Abend in ihren Sportschulen über den Zaun kletterten und mit richtigen Menschen in richtigen Kneipen Bier tranken, das habe er selbst im Kino beim "Wunder von Bern" gesehen, da konnte Neuer ja nur noch mit einem Torwartwitz kontern.

Inzwischen sind die Feldspieler nach einem offenbar genau festgelegten Plan von einem Hütchen zum anderen gelaufen, während der BT (Bundestrainer) ziemlich gekonnt mit einem arglos herumliegenden Ball jongliert. Er macht dabei eine prima Figur, und seine Berater freuen sich garantiert schon auf den nächsten Werbedreh mit Nivea.

Irgendwo hat wieder einer gelacht, diesmal ist es genau zu hören. Aber Neuer war es nicht. Denn der macht eine Aufwärmgymnastik, dass ich vom Zusehen Muskelkater kriege. Währenddessen plaudert Köpke mit den Ersatztorhütern André ter Stegen und Bernd Leno, die immer mehr wie Zwillinge ausschauen. Ganz sicher haben sie denselben Frisör, und bestimmt läuft der auch im offiziellen Trainingsanzug herum, als Teil des Teams hinter dem Team, Teil von La Mannschaft hinter La Mannschaft. Bunte Haarfärbemittel hat er offenbar nicht zur Hand, oder sie sind vom sittenstrengen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel verboten worden. Schade. So farbenprächtige Athleten wie den Belgier Radja Nainggolan mit seinem blonden Resthaar-Irokesen und Tätowierungen bis kurz unter die Nasenwurzel hat Deutschland nicht im Angebot. Ich weiß nicht warum, aber ich stelle mir Helmut Rahn mit Tätowierungen vor.

Jetzt habe ich genug gesehen, findet die Uefa. Sie komplimentiert das Grüppchen der Neugierigen höflich, aber verbindlich hinaus. Ich komm demnächst mal wieder vorbei. Dann bring ich einen Lippenleser mit.

(RP)
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