EM-Tagebuch Sami Khedira und der ganz einfache Fußball

Der Juventus-Star ist wegen der "plumpen Kritik" beleidigt. Unser Autor ist beleidigt, weil Khedira alles besser weiß. Dabei sollte eigentlich Thomas Müller beleidigt sein, weil der Fußball für so komplex hält, wo er doch für Khedira so einfach ist. Am besten lächelt man zu allem freundlich.

RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich.

RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich.

Foto: Phil Ninh

Sami Khedira ist sauer. Über die "plumpe Kritik", die ihm begegnet. Über die Tatsache, "dass jeder meint, den Fußball neu erfinden zu müssen, seit Pep Guardiola in Deutschland ist". Über die vielen neuen Experten, "die glauben, dass Fußball Taktik ist". Und bestimmt auch darüber, dass wieder niemand vorher bei ihm angefragt hat.

Ich bin ein bisschen beleidigt. Wofür mache ich das eigentlich? Mühsam habe ich mich in Feierabend-Seminaren fortgebildet, lerne täglich mehr über wegweisende Dinge des modernen Fußballs wie den abkippenden Achter, die hochstehende Verteidigung und das so bedeutsame Spiel gegen den Ball. Neuerdings sogar über "Packing", weil der Mehmet Scholl das so toll findet und daher jedes Mal wieder darüber erzählt, wenn die ARD mit dem Senden dran ist. Und nun muss ich begreifen: Alles für die Katz, Khedira weiß sowieso alles besser.

Das war bislang die Rolle, die ich im Geheimen für mich reserviert habe. Wohlerzogen erlebe ich die Diskussionen mit meinen Kollegen, geduldig höre ich mir an, dass Bastian Schweinsteiger zu dick, Julian Weigl zu grün, Mesut Özil zu phlegmatisch sei. Ich ertrage kleine Vorträge über die Bedeutung des Pass-Spiels im Wandel der Zeit. Und ich halte es sogar aus, wenn jemand Cristiano Ronaldo einen schlechten Fußballer nennt, nur weil der auf dem Platz herumgockelt, dass es selbst dem übelsten Chauvi Magenschmerzen bereitet. Zu all dem lächle ich freundlich.

Und ich denke: Ihr habt doch keine Ahnung.

Es gehört zu den schönsten Merkmalen dieser Spezies Mensch, die nur drei Gesprächsthemen hat, nämlich Fußball, Fußball und Fußball, dass jeder Einzelne sicher ist, die ehernen Wahrheiten allein für sich gepachtet zu haben. Deshalb fühle ich mich von Khedira ja auch beleidigt.

Er hat nämlich noch gesagt: "Fußball ist ein einfaches Spiel." Das wüsste ich aber. Es ist, im Gegenteil, ein ziemlich kompliziertes Spiel. Da verschaffe ich mir ausnahmsweise mal Rückendeckung. Kurz bevor mich Sami Khedira beleidigt hat, versicherte Thomas Müller: "Fußball ist sehr komplex."

Das finde ich auch. Vielleicht sollte der Herr Müller das dem Herrn Khedira bei nächster Gelegenheit mal erklären.

Ich weiß aber gar nicht, ob es dazu überhaupt Gelegenheiten gibt in diesem furchtbar engen Zeitplan, in dem unsere Fußball-Größen ihr entbehrungsreiches Dasein fristen. Ob der Bundes-Jogi therapeutische Gruppensitzungen in der Trutzburg über dem Genfersee einberuft, in denen "de Sami" (Originalton Löw) über die Einfachheiten des Fußballsports referiert.

Oder ob am Donnerstag beim gemütlichen Beisammensein nach dem Abendessen "de Scherohm" den Kollegen der Fachabteilung vorderes Drittel den Unterschied zwischen Falschparken auf dem Platz und Wettrennen an der Außenlinie erklärt. Schön wär's. Ich habe dennoch Zweifel.

Wahrscheinlich denkt "de Scherohm" lieber über die Vervollkommnung seiner Kappen-Sammlung nach, während "de Sami" mit seinem Berater telefoniert, der unbedingt nach der Europameisterschaft das Buch "Der einfache Fußball" (270 Seiten, mit vielen Bildern und ein paar Strichzeichnungen) herausbringen will.

Thomas Müller ruft seine Frau an und erkundigt sich nach dem Gesundheitszustand der Pferde. Bastian Schweinsteiger hat einen Face-Time-Termin mit der Hochzeitsplanerin, die wissen will, ob Ana Ivanovic ein weißes Tennis-Kleid zur Trauung tragen wird und ob es zum Hauptgang bayerische Schmankerl geben soll. Jogi Löw spricht mit Nivea über die nächste Werbestaffel. Und sein Assistent Thomas Schneider blättert lustlos in einer Autozeitung, die Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt vergessen hat.

Anschließend lässt sich der Bundestrainer die Nummer von Khediras Berater geben, weil er auch gern mal ein Buch schreiben würde. Es müsste nicht einmal viele Bilder haben, und er hat sich sogar bereits einen Titel ausgedacht: "Meine Pressekonferenzen." Untertitel: "Fünf Minuten nix sagen für Fortgeschrittene."

Torhüter Manuel Neuer schreibt stundenlang SMS an Philipp Lahm. Einziger Inhalt: "Junge, komm bald wieder." Nur Lukas Podolski bekommt von all dem nichts mit. Er übt auf seinem Zimmer Kölner Lieder. Die passende Karaoke-App dazu hat ihm Jonas Hector heruntergeladen.

Dann ist auch schon Zeit für die Bettruhe. Jogi Löw löscht das Licht, es wird still in der Trutzburg über dem Genfersee. Allein bei Khedira flackert noch eine Taschenlampe. Er sucht den Ordner "plumpe Kritik. EM-Vorrunde".

(RP)
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