Bundestrainer muss bleiben Löw ist unantastbar

Paris · Vor zehn Jahren übernahm Joachim Löw als Bundestrainer. Seither ist die DFB-Auswahl bei allen sechs großen Turnieren immer mindestens bis ins Halbfinale gekommen. Besser hat das noch kein deutscher Bundestrainer hinbekommen. Hut ab, Beifall, fertig.

EM 2016: Frust bei DFB-Team nach dem Aus im Halbfinale
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Frust bei DFB-Team nach dem Aus im Halbfinale

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Foto: dpa, kno

Es ist aber keine Geschichte aus Fakten, jedenfalls nicht ausschließlich. Nur Fakten werden dem Phänomen Löw nämlich nicht gerecht. Und wer allein vom Ergebnis her argumentiert, der unterschlägt, dass es da eine nicht unbedeutende Fraktion von Gegnern gibt, die Löw den Ruf eines großen Trainers bestreiten.

Sie wird vom TV-Experten Mehmet Scholl angeführt, der ein sehr manierlicher Fußballer war, der ein bei Bayern Münchens zweiter Mannschaft gescheiterter Trainer wurde und der nun an Löws taktischen Einfällen herumnörgelt. Er hat ihm Angsthasenfußball gegen Italien unterstellt, und er hat ausgiebig die vom Schweizer Urs Siegenthaler angeführte Scouting-Abteilung kritisiert. Für solche Erkenntnisse wie die, dass die Italiener gern mit langen Bällen nach vorn kommen, hätte Siegenthaler gar nicht erst aufstehen müssen, fand Scholl. Und er glaubte auch festgestellt zu haben, dass Löw viel zu abhängig von den Fußballflüsteren in seiner engeren Umgebung sei.

Das ist ein böser Vorwurf. Er sagt, dass Löw weder eine eigene Vorstellung vom Spiel noch überhaupt taktisches Vermögen habe. Und es gibt viel bösere Zeitgenossen wie den Freiburger Philosophen Wolfram Eilenberger, der sich neuerdings zum großen Fußball-Sachverständigen ernannt hat. Seine jüngsten Behauptungen lauten ungefähr so: Die Nationalmannschaft ist trotz Löw in sechs Turnieren hintereinander mindestens bis in Halbfinale gekommen. Löw habe lediglich das unverschämte Glück, sich aus dem besten deutschen Spielerangebot aller Zeiten bedienen zu dürfen.

Das ist eine Gemeinheit, an der nur eines stimmt: Tatsächlich gab es wohl nie über so einen langen Zeitraum ein vergleichbar gutes Angebot an Spitzenspielern. Das verdankt der deutsche Fußball — somit auch Löw — der Arbeit in den Akademien der Vereine, die der DFB nach den trüben Jahren des Rumpelfußballs an der Jahrtausendwende angeschoben hat.

Löw aber war der erste Bundestrainer, dem es gelang, sein Spielsystem über die Jahre zu entwickeln und den Erfordernissen anzupassen. Der Überfallfußball ab 2006 bis 2010, der auf Jugendlichkeit, Tempo und Kontern beruhte, ist zu einem sehr gediegenen Modell des Ballbesitzfußballs geworden. Und bei seinem wichtigsten Turnier baute der erklärte Fußball-Ästhet Löw ("Ich liebe den schönen Fußball") den Faktor Ergebnis ein. Er wäre nie Weltmeister geworden, wenn er dem Team nicht diesen Schuss Nüchternheit verpasst hätte. Er hat gelernt. Das zeichnet ihn aus in einer Branche der vermeintlich Unbeirrbaren, die heute das und morgen jenes mit Nachdruck vertreten. Löw beeilt sich nicht damit, deshalb ist er den Schnellurteilern wie Scholl suspekt.

Der Triumph von Rio war es, der Löw endgültig zu einem schwer entspannten Menschen machte, einem, dem die scheinbare Realität mit all ihren Aufgeregtheiten und Kleinigkeiten herzlich gleichgültig ist, der so in sich ruht, dass ihm natürlich der Vorwurf gemacht wird, er sei endgültig abgehoben. Daran ist viel Wahrheit, seine Entrücktheit hat allerdings positive Wirkung. Die Spieler profitieren von seiner Gelassenheit, er gibt ihnen damit Halt, da sind sich nicht anders als andere junge Menschen, die ein Vorbild sehen wollen, dass sich durch nichts erschüttern lässt. Es wird ja sehr leicht vergessen, wie jung diese Leute sind.

Löws Mitarbeiter finden ihn gut in dieser Rolle. Marcus Sorg, neben Thomas Schneider der zweite Assistent, hat das alles in ein sehr schönes Wort gegossen: "Jogi Löw schwebt wie ein Supervisor über allem." Das Irdische erledigen seine Jungs.

Das ist selbstverständlich ein Traumjob. Auch deshalb prallen Attacken von außen von Löw einfach ab. "Über Taktik kann man immer diskutieren", sagt er, "da darf jeder seine Meinung haben, klar." Aber er wird dann doch etwas weniger gelassen, wenn ihm einer die Orientierung an gegnerischen Stärken als Schwäche auslegt. "Das wäre ja dumm, wenn man nicht ein wenig auf die Qualität des Gegners schaut", betont er mit Recht. Und er steht zu Fehlern, die daraus entstehen können. Die vieldiskutierte Halbfinal-Niederlage gegen Italien bei der EM vor vier Jahren nimmt er auf seine Kappe. Er hatte Toni Kroos als eine Art Sonderbewacher für Andrea Pirlo abgestellt, dadurch eine ganze Flanke geöffnet und italienische Konter provoziert. Es hat ein bisschen gedauert, doch dann hat er die "Verantwortung übernommen, klar".

So ein Patzer ist ihm nicht mehr unterlaufen, auch wenn es manchmal den Eindruck macht, als müsse er zu seinem taktischen Glück gezwungen werden. Das hat viel damit zu tun, dass Löw nicht gerade den Konflikt sucht und sich mit Entscheidungen, zumal schnellen Entscheidungen, schwertut. Auch dafür gibt es in Brasilien das beste Beispiel. Es hat lange gedauert, fast zu lange, ehe er seinen Kapitän Philipp Lahm auf die rechte Verteidiger-Position zurückbeorderte. Das war ebenfalls ein maßgeblicher Grund für den Titelgewinn. Löw zögerte jedoch, weil Lahm mit seiner nicht unbedeutenden Hausmacht lieber im Mittelfeld geblieben wäre.

Für seine Versetzung, mithin für die richtige Entscheidung, darf sich Löw feiern lassen — genauso, wie er die Schläge für den Misserfolg einstecken muss.

Das ist in Frankreich nicht anders gewesen. Seine Stellung hat das Turnier jedoch wieder gefestigt, obwohl er nicht mit dem Europameistertitel nach Hause fährt. Die Niederlage gegen Frankreich hat ihn getroffen, aber sie hat seine Position nicht erschüttert. Das wäre sicher nach einem Achtelfinal-Ausscheiden, vielleicht auch nach einer Niederlage gegen die Italiener so gewesen. Doch es ist längst so, dass nur Löw darüber entscheidet, wie lange er seinen Traumjob noch macht. Die Titelverteidigung bei der WM in Russland hat er immer als Ziel ausgegeben. Zwei Jahre macht er sicher noch, auch wenn er sich unmittelbar nach dem Halbfinal-Aus nicht zu einem Bekenntnis zur Nationalmannschaft durchringen konnte. Scholls Vertrag bei der ARD endet ebenfalls erst 2018.

(pet)
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