Jerome Boateng Vater der deutschen Abwehr

Evian · Jerome Boateng gehörte beim 2:0-Auftaktsieg der deutschen Nationalmannschaft gegen die Ukraine zu den besten Spielern. Wer gegen Polen als zweiter Innenverteidiger neben dem Abwehrchef starten darf, ist unklar.

So feiert das Netz Boatengs Rettungsaktion
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Foto: dpa, gh pil

Zu einem Vortragsreisenden in eigener Sache wird Jerome Boateng in diesem Leben nicht mehr. Deutschlands mit Abstand bester Verteidiger ist wahrlich keine Plaudertasche. Auch vor dem EM-Gruppenspiel gegen Polen ist dem Abwehrchef der DFB-Auswahl nicht viel mehr zu entlocken als: "Beide Qualifikationsspiele gegen die Polen waren nicht einfach. Es ist erst einmal wichtig, dass wir einen Sieg holen möchten." Das kaut er in seinem gutmütigen Berliner Tonfall hervor. Und er hütet sich vor lautstarken Ansagen.

Gelassenes Aufbauspiel

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Foto: AFP

Boateng spricht durch Taten auf dem Platz. Gegen die Ukraine beim deutschen 2:0-Auftaktsieg hat er es wieder mal sehr eindrucksvoll getan. Er brachte nach dem Wechsel Ordnung in eine zuvor 20 wilde Minuten lang völlig unsortierte Defensive. Er beruhigte durch sein gelassenes Aufbauspiel das ganze Team. Und er trug in der Phase des kollektiven Orientierungsverlusts entscheidend dazu bei, dass die Partie nicht zugunsten der Ukrainer kippte. Seine eingesprungene Rettungstat auf der Torlinie wird es in jeden EM-Rückblick schaffen. Einen Spitzenplatz in der Internet-Video-Rangliste hat sie längst errungen. "Aber das", sagt Boateng, und man hat es schon geahnt, "ist für mich jetzt nicht so wichtig. Ich bin froh, dass wir gewonnen haben und dass ich dazu einen Beitrag geleistet habe."

Über erste Konsequenzen aus dem Wettschwimmen in der Abwehr ist offensichtlich bereits in der Pause des Ukraine-Spiels ausgiebig gesprochen worden. Denn das Chaos war danach beseitigt. Bundestrainer Joachim Löw beschreibt die Veränderungen in der taktischen Arbeit auf dem Platz in der Fachsprache des Fußballs: "Die Außen haben breiter gestanden. Dadurch haben wir Druck auf die Flügelspieler ausgeübt." Das kann aber nicht alles gewesen sein. Denn die Lücken, die sich zeitweise auf den Flügeln aufgetan hatten, waren nicht nur das Ergebnis von Stellungsfehlern bei den Außenverteidigern Benedikt Höwedes und Jonas Hector. Sie kamen auch zustande, weil die gesamte Mannschaft in ihrer Defensivarbeit Fehler machte.

Es gelang ihr nicht, die Räume zu schließen, weil im Mittelfeld sehr großmütig auf Mitwirkung in der Abwehr verzichtet wurde. Diese Lehre zog das Team bereits zur Halbzeit des Ukraine-Spiels. Alles wirkte nun deutlich "kompakter", wie die Fußballlehrer immer so schön sagen. Auf der anderen Seite bekam das Aufbauspiel mehr Konturen, der Ball lief besser nach vorn. "Wir kamen besser in die Zwischenräume", erklärt Mittelfeldspieler Toni Kroos, der daran maßgeblich beteiligt war.

Polens Spielstil ähnelt dem der Ukraine

Seine Kollegen wissen, dass gegen die Polen noch deutlich mehr Zusammenarbeit der einzelnen Mannschaftsteile geleistet werden muss. Denn nicht nur Löw glaubt, "dass es sich hier um das vorentscheidende Spiel um den Gruppensieg handelt". Die Polen spielen nach der Analyse der DFB-Fachleute einen ähnlichen Stil wie die Ukraine, aber sie haben sicher eine noch bessere Mannschaft.

Die deutsche Mannschaft hat mit dieser Offensive ihre Erfahrungen gesammelt. Das Hinspiel in der EM-Qualifikation verlor sie in Warschau mit 0:2, als vor allen Dingen das Konterspiel der Gastgeber den Weltmeister vor große Probleme stellte. Im Rückspiel gewann Löws Team in Frankfurt nach der wohl besten Vorstellung in der gesamten Qualifikation mit 3:1. Der polnische Treffer fiel erneut nach einem der blitzschnellen Gegenangriffe.

Auch deshalb hat Löw in der Vorbereitung auf die EM den Trainingsschwerpunkt Defensivarbeit ausgerufen. Ihm ist ja nicht verborgen geblieben, dass seine Mannschaft zu viele Tore kassiert hat. Der erste Effekt der Sonderschulung: Zumindest die Ergebnisse haben sich gebessert. Im letzten EM-Test (2:0 gegen Ungarn) und im ersten EM-Spiel blieb seine Elf ohne Gegentor - dort freilich vom Glück begünstigt.

Der Bundestrainer wird sich nun fragen, ob eine klügere Organisation der ganzen Mannschaft genügt, oder ob es personelle Umbaumaßnahmen braucht. Mats Hummels ist schließlich wieder fit, und er könnte Shkodran Mustafi an der Seite von Boateng ersetzen. Das ist zumindest eine eingespielte Aufstellung.

Mustafi selbst beschäftigen solche Personal-Diskussionen nicht. "Ich kann mich ja nur auf das konzentrieren, was ich auch beeinflussen kann", sagt der Verteidiger, "also konzentriere ich mich aufs Training. Die Entscheidungen trifft der Trainer." Das hätte Boateng nicht genauer ausdrücken können.

(pet)
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