Mangelnde Chancenverwertung Es müllert noch nicht

Paris · Die deutsche Mannschaft zeigte sich gegen die freilich schwachen Nordiren deutlich verbessert. Größtes Manko: die unbefriedigende Torausbeute trotz einer Vielzahl von Chancen.

Thomas Müller vergibt seine erste große Tor-Chance bei der EM 2016
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Müller vergibt seine erste große Chance bei der EM

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Foto: afp

Draußen sangen die nordirischen Fans mit der Ausdauer von Champions. Drinnen sagte Mesut Özil, was Mesut Özil so sagt: "Ich bin erst einmal froh, dass wir drei Punkte haben. Wir haben viele Torchancen herausgespielt, und wir haben gezeigt, was für ein Potenzial wir haben. Ich freue mich, dass ich eine gute Leistung gezeigt habe." Ein Meister des mündlichen Vortrags kann und will er nicht werden. Seine Beurteilung des Spiels gegen Nordirland teilten allerdings die meisten Fußball-Sachbearbeiter. Nach dem 1:0-Erfolg, der ganz leicht ein 4:0- oder 5:0-Erfolg hätte sein können, wählte die Uefa-Jury Özil zum Spieler des Spiels.

Er hatte mal wieder bei vielen Torgelegenheiten den Fuß im Spiel. Seine Steilpässe durch die Mitte hatten die richtige Geschwindigkeit, er erwischte meist den richtigen Moment. Daran hatten seine Kollegen großen Anteil. Denn anders als beim offensiv trüben Auftritt gegen die Polen bewegten sich die deutschen Angriffsspieler ständig, sie gingen mitunter scheinbar unnütze Wege und boten damit Özil als dem Fachwart Passwesen die notwendigen Räume an. "Wir hatten Spieler, die in die Tiefe gehen", erklärte Bundestrainer Joachim Löw, "der Mesut sah heute besser aus, weil er Anspielmöglichkeiten hatte." Dadurch kam das deutsche Spiel zum ersten Mal bei der EM auf Touren, und die phasenweise hilflosen Nordiren hätten sich über eine richtige Packung nicht beklagen können.

Folglich hatte Löw auch nur an der äußerst mangelhaften Chancenverwertung etwas auszusetzen. Er drückte es im gelegentlich etwas komplizierten Jogi-Deutsch aus: "Wir hätten können schon zur Halbzeit mit 4:0 führen. Dann hätten wir früher ein paar Spieler schonen können." Und er mahnte: "Das kann in den nächsten Spielen schon auch nach hinten los gehen. Da erwarte ich mehr von unseren Leuten, klar."

Dennoch geht der Weltmeister mit breiter Brust ins Achtelfinale. In der Gruppenphase hat er sich beständig gesteigert und Lernfähigkeit bewiesen. 20 konfusen Minuten vor der Pause beim Auftakt gegen die Ukraine (2:0) folgte eine mannschaftlich disziplinierte Defensiv-Vorstellung gegen Polen (0:0), allerdings auch ein offensiver Offenbarungseid. Gegen die überforderten Nordiren dagegen kombinierte sich die DFB-Auswahl mit großer Leichtigkeit vors Tor. Das war zwingend und wurde nur nicht zwingend abgeschlossen. Wenn Löws Team diese Schwäche noch beseitigt, die immerhin auch die Nordiren bis zum Schluss im Spiel hielt, dann ist sie ihrem Anspruch ganz nah.

Das hat sich bei den Spielern herumgesprochen. Thomas Müller fand wie Sami Khedira: "Das war ein Schritt nach vorn." Beide urteilten jedoch auch wortgleich, da sei "noch Steigerungspotenzial". Müller erkannte es selbstkritisch vor allem bei sich. "Ich hätte heute allein in der Torjägerliste zu Gareth Bale aufschließen können", sagte er. Einmal stand ihm der nordirische Torwart Michael McGovern im Weg, einmal der Pfosten, einmal die Torlatte. Er war zumindest nah dran am ersten Torerfolg.

Löw macht sich wie immer keine großen Sorgen, dass Müller torlos aus dem Turnier gehen könnte. "Sorgen würde ich mir machen, wenn er keine Torchancen hätte", versicherte der Bundestrainer, "beim nächsten Mal klappt das mit dem Tor." Er schaute ziemlich gelassen, deshalb glaubt man ihm das einfach.

Während die Torausbeute keine Begeisterungsstürme in der DFB-Delegation auslöste, haben die Abteilung Torverhinderung und das mannschaftliche Defensivspiel erneut überzeugt. "Wieder kein Gegentor, da war ich schon auch zufrieden", erklärte Löw, "aber wenn wir ehrlich sind, dann war es gegen die Nordiren auch nicht so schwer." Die kampfstarken Jungs von der Insel verschanzten sich trotz des Rückstands tapfer in der eigenen Hälfte, und sie hofften bis zum Ende darauf, vielleicht im Anschluss an eine Standardsituation doch mal ihre Qualitäten im gegnerischen Strafraum vorzustellen.

Die deutsche Abwehr gönnte ihnen diese Standards aber nicht. "Wir haben keine blöden Fouls gemacht, damit war ich sehr zufrieden", sagte Löw. Er weiß, dass die Nordiren in der Qualifikation zehn Tore nach den sogenannten ruhenden Bällen gemacht haben.

In Paris kam keines dazu. Deshalb gehen die Deutschen ohne Gegentreffer aus der Gruppenphase. Zum letzten Mal gab es das vor 20 Jahren. Am Ende wurde Deutschland in England Europameister. Seither nicht mehr.

(pet)
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