EM in Frankreich Vogts: "Löw muss den Teamgeist zurückbringen"

Mönchengladbach · Deutschland ist für den ehemaligen Bundestrainer der EM-Favorit. Von Trainer Löw erwartet er die richtigen Signale.

Das ist Berti Vogts
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1996 gewann Berti Vogts mit der deutschen Nationalmannschaft die Europameisterschaft in England. Bis heute ist er der letzte Trainer, dem das gelang. Er glaubt, dass Joachim Löw dieses Kunststück in Frankreich wiederholen kann. Während der EM wird Vogts für unsere Redaktion als Kolumnist schreiben. Wir trafen ihn in einem Café in Mönchengladbach.

Herr Vogts, Deutschland geht als Weltmeister in die Europameisterschaft. Ist es darum in Frankreich erster Titel-Kandidat? Oder ist der WM-Titel eine Belastung?

Vogts Der WM-Titel ist keine Belastung. Doch wenn die Spieler denken, es läuft von alleine, dann werden sie sich wundern. Denn jeder will den Weltmeister schlagen. Da müssen sofort vom Trainer die richtigen Signale kommen. Ein Turnier ist auch Kopfsache. Ich habe selbst 1990 ein Weltmeister-Team übernommen und weiß darum, wie schwierig es ist. Grundsätzlich muss man sagen: Die deutsche Mannschaft muss in Frankreich die Vorrunde nutzen, sich einzuspielen und zu einem Team zu werden.

Kann man sich bei einer EM-Vorrunde einspielen? Muss man nicht gleich bei 100 Prozent sein?

Vogts Es muss für Deutschland möglich sein, auf ein, zwei Positionen etwas auszuprobieren gegen die Ukraine, Polen oder Nordirland. Auf vier, fünf Positionen sollte man es natürlich nicht tun. Gerade auf den Außenpositionen sehe ich doch ein paar Probleme, seit Philipp Lahm nicht mehr da ist. Aber wenn das deutsche Team im Rhythmus ist, wird es sich sicher für die zweite Runde qualifizieren und gestärkt in die K.o.-Spiele gehen. Da ist Deutschland dann mit Frankreich Topfavorit. Ich kann mir ein Endspiel der beiden vorstellen.

Löw selbst hat gesagt: Für mich ist die EM eine Durchgangsstation für die WM-Titelverteidigung in Russland. Ist das nicht ein bisschen arrogant?

Vogts Als ich das 1992 gesagt habe, wurde auf mich eingehauen. Und wir waren bei der EM im Endspiel, das wir gegen die Dänen verloren haben. Und um mal mit einem Mythos aufzuräumen: Die Dänen waren damals fast besser vorbereitet als wir. Wir hatten nur ein paar Tage Zeit, es gab damals noch keine so tollen Absprachen mit dem DFB und der DFL wie heute. Ich finde es super, wenn man dem Trainer und dem Team Zeit gibt, sich gut auf ein Turnier vorzubereiten.

Die EM war das Turnier des Trainers Berti Vogts: 1992 waren Sie im Finale, 1996 haben Sie den Titel geholt. Den letzten EM-Titel des DFB bis heute. Was bedeutet Ihnen das?

Vogts Die EM 1996 war sehr hart. Wir hatten sehr viele Verletzte. Fredi Bobic hat als Mittelstürmer rechter Verteidiger gespielt.

Das war innovativ.

Vogts Er hat seine Sache richtig gut gemacht. Wir haben sogar ein Feldspieler-Trikot anfertigen lassen für Ersatz-Torwart Oliver Reck. Wir hatten, gemessen an den Einzelnen, nicht die Qualität wie 1992 oder 1994. Aber jeder hat für den anderen alles gegeben. Es war ein Team. Das ist bei jedem Turnier das Wichtigste.

Ein Team mit dem Anführer Matthias Sammer.

Vogts Wir hatten nicht nur einen Anführer, sondern drei oder vier. So war es sicherlich auch bei der WM in Brasilien. Anders geht es nicht, wenn man Erfolg haben will. Ich glaube, es war eine tolle Gemeinschaft in Brasilien, das hat man gespürt. Der DFB hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Es muss alles passen. Auch das Bild, das die Fans in der Heimat haben.

War das bei der WM 1994 ein Problem? Stichwort Stinkefinger-Affäre?

Vogts Natürlich. Die Stimmung zu Hause hängt davon extrem ab. Und es kommt auch gleich zurück ins Turnier-Land. Da sorgt es dann für Unruhe. 1996 haben wir viel mehr Ruhe gehabt, da hat alles gestimmt: die Unterkunft, die Stimmung, das Team, das Umfeld. 1992 stimmten Kleinigkeiten nicht. So hatten wir im Hotel keine Vorhänge - und es war in Schweden ja nur vier Stunden in der Nacht dunkel. Da habe ich es gewagt, Vorhänge zu beantragen. Dafür wurde ich abgemahnt.

In Brasilien wurde 2014 ein ganzes Hotel gebaut.

Vogts (lacht) 1990 wurde ein eigenes Schwimmbad gebaut.

Bitte?

Vogts Wir sollten zunächst in Modena oder Genua spielen. Aber als die Mauer fiel, wurden viel mehr Fans erwartet, wir sollten in einem größeren Stadion spielen. Wir brauchten dann kurzfristig ein Hotel bei Mailand. Wir haben nach langem Suchen ein Hotel gefunden. Aber das hatte die Fifa belegt. Doch der Bruder des Hotelbesitzers hatte auch ein Haus. Alles war gut, es hatte nur kein Schwimmbad. Ich habe Franz Beckenbauer angerufen und habe ihm gesagt: Das Hotel hat kein Schwimmbad. Er hat gesagt: Wir bauen eins. Er hat Präsident Herrmann Neuberger angerufen und hat mir dann gesagt: Wir bauen es. Es kommt halt drauf an, wer anruft.

Das Schwimmbad-Problem hat Löw in Frankreich nicht. Was wird seine größte Herausforderung?

Vogts Die Motivation der Mannschaft. Er muss den Gedanken der WM zurückbringen ins Team, so dass jeder Spieler alles dem 'Wir wollen den Titel holen' unterordnet.

Ist Löw zum Erfolg verdammt?

Vogts Wenn man Weltmeister ist, will man Europameister werden. Das haben bisher nur die Franzosen und Spanier geschafft. Das kommt nicht von ungefähr.

Aber ist die EM wegen der Leistungsdichte nicht schwieriger?

Vogts Jetzt nicht mehr mit den 24 Mannschaften. Früher, als nur 16 Teams mitspielten, war es so, da war jedes Spiel top. Aber jetzt gibt es einige Gruppen, in denen man sich, nun ja, einspielen kann. Es ist sicherlich schön für kleine Verbände wie Albanien, dabei zu sein. Aber das Turnier wird verwässert.

Wer sind Deutschlands größte Konkurrenten?

Vogts Frankreich, Spanien, die Italiener muss man bei jedem Turnier nennen. Bei den Engländern wird es sein wie immer - die Saison war lang, und die Frage ist, ob sie bereit sind für das Turnier. Bis auf 1966 haben sie es nie richtig hingekriegt.

(RP)
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