Fußball-EM Frankreich sorgt sich um die Sicherheit

Paris · Am Freitagabend wird im Pariser Vorort Saint-Denis die Fußball-Europameisterschaft 2016 eröffnet. Begeisterung kam im Land des Weltmeisters von 1998 nur langsam auf. Zu groß ist die Angst vor Terrorangriffen.

Nach den Anschlägen im vergangenen Jahr hat Frankreich seine Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit deutlich erhöht. Bei der EM sollen rund 90.000 Polizisten für Sicherheit sorgen.

Nach den Anschlägen im vergangenen Jahr hat Frankreich seine Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit deutlich erhöht. Bei der EM sollen rund 90.000 Polizisten für Sicherheit sorgen.

Foto: dpa

Ein riesiger weiß-gelber Fußball schwebt wie ein Pendel über der ersten Etage des Eiffelturms. Das Wahrzeichen haben sie herausgeputzt für die EM, die am Abend beginnt. Und auch wenn es zehn Spielstätten gibt, wird die Welt doch nur auf Paris schauen - jene Stadt, die durch die Anschläge im vergangenen Jahr immer noch getroffen ist. Und auf jenen 324 Meter hohen Turm, der seither das Symbol gegen den Terrorismus geworden ist. Blau-weiß-rot leuchtete er in den Tagen der Trauer, die die Stadt mit der EM nun endlich hinter sich lassen will. Von einem Volksfest spricht Bürgermeisterin Anne Hidalgo unermüdlich - als ob sie die Freude damit herbeireden könnte. Dabei ist es ein ganz anderes Gefühl, das die Pariser beherrscht. "Im Zusammenhang mit der EM geht es nur noch um die Angst", sagt Arthur Asquin.

Der 25-jährige Student kennt den Spielplan für die nächsten Wochen auswendig. Doch der eingefleischte Fußballfan weiß auch um die Gefahren, die mit der EM verbunden sind. Keiner kann ihnen ausweichen, werden sie doch praktisch täglich von den Verantwortlichen wiederholt. "Null Risiko gibt es nicht", sagte beispielsweise Innenminister Bernard Cazeneuve bei der Vorstellung der Sicherheitsvorkehrungen Ende Mai. Der bedächtige Oberpolizist hat mit einem Rekordaufgebot von 90.000 Sicherheitskräften alles getan, um einen reibungslosen Ablauf der 51 Spiele zu garantieren. Doch er bereitet die Bevölkerung gleichzeitig auf das Schlimmste vor: Eine eigens entwickelte App soll auf Gefahren im eigenen Umfeld hinweisen. Innerhalb von nicht einmal 24 Stunden wurde das Alarmsystem zum meistgesuchten Artikel für französische Smartphones. Ein Zeichen für die Nervosität im Land.

Katastrophenübungen sorgen für Verunsicherung

Zur Verunsicherung trugen auch die Bilder von Katastrophenübungen Hunderter Sicherheitskräfte in Stadien und auf Fanmeilen bei. Mehr als 30 solcher Einsätze zählte Cazeneuve in den vergangenen Wochen - mit Polizisten in weißen Schutzanzügen gegen Chemiewaffen und mit blutig geschminkten Verletzten. Das Szenario des 13. November ist noch in allen Köpfen, als Terrorkommandos den Konzertsaal Bataclan, mehrere Kneipen und das Stade de France angriffen - jenes Stadion im Norden von Paris, in dem heute die EM mit der Begegnung Frankreich-Rumänien beginnt.

"Angst hat man seit den Anschlägen immer", sagt auch der 18-jährige Sven Drané, Amateurfußballer seit seiner Kindheit. Auf die EM freut er sich trotzdem - so wie viele andere Fußballfans in Paris, wo an den Fahnenmasten in den nächsten vier Wochen die blau-weißen EM-Flaggen wehen. Doch sie wirken ebenso verloren wie die blau-weiß-roten Fanartikel in den Bahnhöfen, in denen schwerbewaffnete Soldaten in Dreiergruppen patrouillieren. "Die Anschläge drücken auf die Stimmung", räumt Sportminister Patrick Kanner ein. "Aber die Begeisterung wird kommen, wenn Frankreich die ersten Spiele bestreitet und die ersten Siege eingefahren werden", hofft der stets optimistisch wirkende Sozialist. Sogar eine Euphorie wie beim Gewinn der Weltmeisterschaft im eigenen Land 1998 schließt er nicht aus.

1998 - das magische Jahr

1998 bleibt für die Franzosen das magische Jahr, in dem sie nicht nur den Titel holten, sondern auch vor Selbstbewusstsein strotzten - nicht allein wegen des Fußballs, sondern auch wegen der guten Wirtschaftslage. "1998 ist immer noch das Modell", sagt der Sportsoziologe Ludovic Lestrelin von der Universität Caen. Doch fast 20 Jahre später habe sich das Land deutlich verändert. "Der Alltag ist härter geworden, und die wirtschaftliche und soziale Krise beherrscht das Land." Zu sehen ist das in diesen Tagen in Paris, wo die Züge nur unregelmäßig fahren und der Müll nicht abgeholt wird. Die Gewerkschaften protestieren gegen das neue Arbeitsrecht und wollen auch vor der EM nicht Halt machen.

"Die Fußballspiele bedeuten einen Bruch mit unserem Alltag, der momentan sehr düster und grau ist", sagte der Anthropologe Christian Bromberger der Zeitung "Le Parisien". Er setzt auf die EM, um den Franzosen eine Atempause zu verschaffen, einen Moment, in dem die Probleme zwar nicht verschwinden, aber in den Hintergrund treten. Und damit sich dieser Effekt einstellen kann, braucht es auch die wegen ihrer Sicherheit so umstrittenen Fanmeilen. "Das ist ein Moment, den wir mit anderen teilen wollen. Also werden die Leute trotz des Anschlagsrisikos auf die Fanmeilen gehen", prognostiziert Bromberger.

In Paris liegt die Fanmeile ausgerechnet auf dem Marsfeld hinter dem Eiffelturm - ein sehr symbolischer Platz, den viele gerade deshalb meiden wollen. Stimmen wie die von Sven Drané machen den Veranstaltern aber Mut: "Man muss auf jeden Fall hingehen, schon wegen der Atmosphäre", sagt der Amateurfußballer. Und wenn einer so denkt, dann vielleicht auch andere. Die Ausgehkultur gehört schließlich zum Lebensgefühl - zum "Savoir vivre" - der Pariser. Und das lassen sie sich nicht nehmen. Auch nicht bei Terrorgefahr.

(RP)
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