Rooneys Löwen hoffnungsfroh England vor der EM: Überall Zweifel

Die Engländer sind hoffnungsfroh wie lange nicht. Zu Hause allerdings denken viele: Es könnte auch wieder schiefgehen.

England gewinnt EM-Test gegen Portugal
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Wayne Rooney hat drei Biographien veröffentlicht, doch der Kapitän der englischen Fußball-Nationalmannschaft liest trotzdem nicht gerne. Schade. In der Auberge Jeu de Paume, dem noblen EM-Quartier seiner Three Lions in Chantilly, könnte er sonst herausfinden, wie man ein wirklich Großer wird.

In der kleinen Bibliothek dort stehen Werke von Muhammad Ali oder Zlatan Ibrahimovic. Dass Rooney noch in diese Sphären aufsteigt, glaubt selbst auf der Insel kaum mehr jemand. Wenngleich Geoff Hurst, der WM-Held von 1966, das Team um den alternden Anführer als "aufregendstes" seit jenem letzten und einzigen Triumph von Wembley bezeichnete.

Doch nach Jahrzehnten voller Pleiten, Pech und Pannen, nach 50 Jahren Schmerz haben viele Fans die Zuversicht verloren. Das Gruppen-Aus beim letzten Cricket-Worldcup und die desaströse Heim-WM im Rugby haben die stolze Sportnation endgültig ins Jammertal gestürzt. Teammanager Roy Hodgson ist seit der Ankunft in Frankreich peinlich bemüht, positive Signale auszusenden.

Marcus Rashford trifft beim Länderspiel-Debüt für England
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"Die Botschaft ist, dass wir dieses Turnier ohne Angst in Angriff nehmen müssen", sagte er vor dem Start am Samstag (21.00 Uhr/ZDF) in Marseille gegen Russland, "wir haben sehr viele talentierte Fußballer." Das stimmt, auf die Offensive um die Shootingstars Jamie Vardy, Harry Kane und Marcus Rashford trifft Hursts Urteil zu.

"Was wir nicht haben", ergänzte Hodgson, "ist Erfahrung." England stellt knapp vor Weltmeister Deutschland die jüngste Mannschaft (25,39 Jahre im Schnitt). Ihr Coach hofft, dass die Youngster ihre Defizite "mit Energie und Enthusiasmus" ausgleichen. Zudem soll das auf dem Mannschaftsbus angebrachte Motto "One team, one dream" gelebt werden.

EM 2016: die Zukunft der EM-Trainer
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Die Zukunft der EM-Trainer

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Foto: dpa, kne fdt hpl

Stürmer Daniel Sturridge lobte nach dem öffentlichen Training am Dienstag im Stade des Bourgognes folgsam den guten Zusammenhalt. "So gut war es noch nie", meinte der Liverpool-Profi, es gebe "no bad vibes", keinerlei negative Schwingungen. Dann wischte er einem Reporter gut gelaunt eine Spinne vom Hemd.

Tiefer als Sturridges glattgebügelte Antworten ließen die Fragen der englischen Journalisten blicken. Ob er nicht wisse, dass England noch nie ein EM-Auftaktspiel gewonnen habe? Mal ehrlich, ist die Stimmung echt so super? Kann England, das jüngste Team, wirklich gewinnen?

Zweifel überall. Dass auf dem Abschiedsfoto vor der Abreise nur drei Mann aus dem Tross lächelten, könne kein Zufall sein, unkte die Sun. Auch der Plüschlöwe, den Verteidiger Chris Smalling mit nach Frankreich brachte, werde ein weiteres Debakel nicht verhindern können. In Chantilly thront das Tier am Trainingsplatz auf einer Hebebühne.

Weitere Kiebitze sind nicht erwünscht. Nachdem England bei der WM 2014 auch über feindliche Späher stolperte, hat Hodgson ein "Fort Knox" (Sun) errichten lassen. Auch sonst soll nichts vom großen Ziel ablenken, erstmals seit der Heim-EM 1996 das Halbfinale zu erreichen.

Hodgson untersagte umworbenen Stars wie Vardy Vertragsverhandlungen, den geplanten Besuch eines Weltkriegsdenkmals ließ er wegen der Reisestrapazen streichen. Im und um das Quartier unweit des berühmten Schlosses von Chantilly gebe es genug Ablenkung. Beim Zwei-Sterne-Koch oder Snooker, bei Tennis, Golf, Polo oder auf der Pferderennbahn.

Und in der Bibliothek, falls Wayne Rooney doch mal lesen möchte. Falls es wieder schiefgeht, vielleicht Irvine Welshs Drogentrip "Trainspotting".

(sid)
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