Teams schimpfen über Geläuf in Marseille Rutschiger Rasen

Marseille/Düsseldorf · Es ist auffällig, dass bei der EM einige Spieler Probleme mit der Standfestigkeit haben. Frankreichs Trainer spricht beim Rasen in Marseille von einem "Desaster". Neben dem Untergrund spielt aber auch das Schuhwerk eine Rolle.

Die Ausgangslage in der Gruppe A
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Foto: ap, EM

Die linke Abwehrseite der Albaner ist ausnahmsweise unsortiert. Der Ball erreicht Paul Pogba. Eine aussichtsreiche Chance für Frankreich, den ersehnten Führungstreffer zu erzielen, bahnt sich an. Doch daraus wird nichts. Pogba rutscht bei der Ballannahme aus. Ein albanischer Verteidiger hat keine Mühe, die Gefahr zu beseitigen. Es ist nicht das einzige Mal in diesem Spiel, dass ein Akteur wegrutscht. Vor allem Pogba und Anthony Martial machen das Spiel zur Rutschpartie. Auch bei anderen EM-Begegnungen ist zu beobachten, dass Spieler keinen einfachen Stand haben - im wörtlichen Sinne.

Der französische Trainer Didier Deschamps hatte für die Partie in Marseille gegen Albanien (2:0) eine Vorahnung. "Der Platz ist ein Desaster. Aber es ist kein Wunder, wenn du eine Woche vor der EM hier ein AC/DC-Konzert hast", erklärte er erzürnt. Wegen der schlechten Platzverhältnisse darf die ungarische Mannschaft ihr Abschlusstraining heute vor der Partie gegen Island nicht wie geplant im Stade Vélodrome absolvieren. "Als ich Bilder sah, wie Leute von dem Konzert kamen, da habe ich nur gedacht: Oh mein Gott", sagte Deschamps mit Blick auf den Auftritt der Rocker am 13. Mai im Stade Vélodrome. Gut, es war keine Woche, sondern ein Monat. Aber die Frage bleibt, ob das genug Zeit für einen Rasen ist, sich zu erholen.

Die Düsseldorf Congress Sport & Event GmbH organisiert alle Veranstaltungen in der Esprit Arena. Dort trägt Fußball-Zweitligist Fortuna Düsseldorf seine Spiele aus. In den Sommermonaten, wenn Fortuna Pause macht, wird das Stadion für Konzerte genutzt. Am Mittwoch gastierte erst die von Deschamps beschuldigte Rockband AC/DC dort. Auf Anfrage unserer Redaktion teilen die Arena-Verantwortlichen mit, dass vor der neuen Spielzeit auch ein neuer Rollrasen verlegt wird. Das sei das gängige Prozedere in Düsseldorf. Der Rasen sei danach einfach nicht mehr brauchbar, um Fußball darauf zu spielen. Schuld daran sind die Platten, die für die Zuschauer im Innenraum direkt auf die Rasenoberfläche gelegt werden und das Grün platt drücken.

"Das ist Standard in den neuen Mehrzweckarenen - auch in Marseille", sagt Arnd Peiffer. Wenn sich einer mit Rollrasen im Fußball auskennt, ist es der Gartenarchitekt des gleichnamigen Fertigrasen-Zuchtbetriebs aus Willich. Peiffer beliefert neben Düsseldorf weitere Bundesligisten mit Rasen. Unter anderem in Mönchengladbach, Köln, Stuttgart, Leipzig, Frankfurt und Berlin wird auf Willicher Rasen gespielt. "Mir ist auch schon aufgefallen, dass bei der EM viele Spieler ausrutschen. Die haben keinen richtigen Halt", sagt Peiffer. In Marseille liegt - wie in einigen anderen EM-Arenen und Bundesliga-Stadien auch - Hybridrasen. Es ist eine Mischung aus Natur- und Kunstrasen.

"Jeder denkt anders"

Peiffer sitzt auch in der Greenkeeping-Runde der Deutschen Fußball-Liga. Die Diskussion, welcher Rasen denn nun der Beste ist, ist eine hitzige. "Jeder denkt anders", sagt Peiffer. In München gibt es seit zwei Jahren Hybridrasen. "Am Anfang waren alle begeistert, jetzt mehren sich auch kritische Stimmen." Das Problem: Der Rasen wird mit der Zeit hart. "Die Spieler wollen einen weichen Rasen, der sehr stabil ist. Das ist natürlich eigentlich ein Widerspruch in sich. Es hat sich viel getan im Greenkeeping in den vergangenen zehn Jahren. Aber die Ansprüche sind noch mehr gestiegen", erläutert Peiffer. "Das Problem in Frankreich kann aber auch mit dem Schuhwerk zu tun haben."

Marcus Breuer ist als Zeugwart mit Rolf Hülswitt für die Schuhe der Bundesliga-Profis von Borussia Mönchengladbach zuständig. "Ich bin natürlich nicht sehr nah dran an der EM, kenne also zum Beispiel die Beschaffenheit des Rasens nicht und weiß somit auch nicht, wie tief er ist oder nicht. Aber natürlich kann der Rasen, wenn er frisch verlegt und zudem nass ist, rutschig sein und daher ein Grund für das Wegrutschen", sagt Breuer. Zudem sind die Schraubstollen, die bei der Weltmeisterschaft 1954 noch als Innovation von Adi Dassler eine "Geheimwaffe" der deutschen Weltmeister waren, inzwischen nahezu total aus der Mode gekommen. "Die Schuhe mit sechs 16- oder 18-Millimeter-Alustollen, die teilweise noch mit Plättchen verlängert wurden, um tief in den Rasen reinzukommen, nimmt fast kein Spieler mehr.

Heute haben fast alle Mischsohlen mit Stollen und Nocken", sagt Breuer. Die modernen Stollen sind aus Kunststoff und bieten natürlich im Zweifel weniger Halt als die Aluminium-Variante. "Diese breiten Kunststoffschlitten kommen in einen sehr dichten Rasen nicht richtig hinein, sondern rutschen nur über die Oberfläche", erklärt Peiffer.

Als schnelle Lösung des Problems können die Organisatoren nur versuchen, den offenkundig zu festen Untergrund etwas zu lockern, um den Grip zu erhöhen. Funktioniert es, hätten auch Didier Deschamps und Paul Pogba nichts mehr zu meckern.

(RP)
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