Iren erobern Frankreich Die besten Fans Europas

Bordeaux/Düsseldorf · Auf den Beinen des Vaters sitzend, wippt das zufrieden dreinblickende Baby einer französischen Familie. Eingewickelt in eine irische Fahne. Daneben stehen irische Fans, im Trikot, das Flaschenbier in der Hand. Sie singen. Nicht krachend laut wie zuvor im Stadion. Nein, sanft und melodisch. Sie singen ein Schlaflied für das Baby.

Die besten Songs der irischen Fans
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Foto: dpa, mr

Es sind Bilder aus einer Straßenbahn in Bordeaux vom Samstag. Knapp 100.000 Mal wurde das Video dieser Szene auf der Internetplattform "Youtube" angeschaut. Nach den schlimmen Aufnahmen wild prügelnder russischer und englischer Hooligans in Marseille am Wochenende zuvor transportieren die Iren gänzlich positive EM-Eindrücke aus Frankreich. Denn dieses Video ist kein Einzelfall. Irland hat sich den Ruf, die besten Fans Europas zu haben, redlich erarbeitet.

Man könnte davon ausgehen, dass die Iren in Bordeaux deshalb freudig und freundlich gestimmt waren, weil sie zuvor einen Erfolg bejubeln durften. Weit gefehlt. 0:3 hatten die "Boys in Green", wie die Nationalmannschaft in der Heimat gerufen wird, gegen Belgien verloren, bevor das Schlafwagen-Video entstand. Sportlich läuft es für die Iren wieder mal nicht rund. Als Letzter der Gruppe E müssen sie heute gegen die bisher starken Italiener (21 Uhr) siegen, um die Chance aufs Achtelfinale zu wahren. Sportliches Leid sind die Iren gewohnt. Für die vergangenen zehn EM- und WM-Turniere qualifizierten sie sich nur zweimal. Bei der WM 2002 schieden sie im Achtelfinale im Elfmeterschießen gegen Spanien aus.

Gänsehautmoment bei der EM 2012

Bei der EM 2012 mussten sie mit null Punkten nach der Vorrunde abreisen. Doch auch damals begeisterten die Anhänger ganz Europa. Im letzten Gruppenspiel gegen Spanien intonierten die Anhänger ihren bekanntesten Song: "Fields of Athenry". Es ist ein Lied über die irische Hungersnot zwischen 1846 und 1849, das von irischen Sportfans aufgrund des mitschwingenden Pathos zweckentfremdet wurde. Als die Iren das Lied zum Abschied von der EM anstimmten, machte ARD-Kommentator Tom Bartels alles richtig, hielt den Mund und ließ die Zuschauer mit dem ergreifenden Song alleine. Die Europäische Fußball-Union verlieh den irischen Fans nach dem Turnier einen Sonderpreis für ihr Verhalten.

Den Preis rechtfertigen große Teile der Anhänger auch in Frankreich. Klar, es gibt sie auch, die Iren, die ihre Grenzen beim Alkoholkonsum nicht kennen oder nicht kennen wollen. Da sorgen dann auch vereinzelte Einwohner der Grünen Insel für Ärger und Kopfschütteln. Doch das Gros der Fans begeistert durch ausgelassen positive Stimmung und vor allem durch Fairness im Umgang mit Anhängern anderer Nationen. Vor dem ersten Gruppenspiel in Paris tanzten Iren und Schweden auf der Straße gemeinsam zu Hits von Abba. Was danach im Stade de France geschah, beschreibt der irische Nationaltrainer Martin O'Neill so: "Als die Spieler vom Aufwärmen kamen, sagten sie, sie hätten so eine Atmosphäre noch nie erlebt - und da war das Stadion noch nicht voll. Es war einfach fantastisch. Absolut fantastisch. Auch ich werde das nie vergessen."

In Bordeaux feierte eine große Gruppe irischer Fans sich selbst, als sie von der Polizei eskortiert wurde. Schließlich stimmte sogar ein Polizist ein Lied an. In Paris wurde ein Mann auf einem Balkon von Hunderten irischen Anhängern ohne erkennbaren Grund gefeiert. Als er wieder in seine Wohnung ging, bekundeten die Fans mit Buh-Rufen ihren Unmut. Als er auf den Balkon zurückkehrte, brandete Jubel auf.

Viele Iren, das bescheinigen zahlreiche Augenzeugen, nehmen sich selbst nicht zu ernst, können Sprüche einstecken und austeilen. Vor allem sind sie aber ausschweifenden Partys nicht abgeneigt. Während der WM 2006 sah man auch irische Flaggen auf den Camping-Plätzen in Deutschland. Dabei war Irland für das Turnier nicht qualifiziert. Auf die obligatorische Frage "Warum seid ihr denn hier?" hieß es nur: "Auch wenn wir nicht dabei sind, wir wollen einfach mitfeieren."

(erer)
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