EM 2016 Franzosen haben sich wieder lieb

Düsseldorf · Nach zahlreichen Eskapaden und Streitereien streben die Gastgeber mit mannschaftlicher Geschlossenheit zum Erfolg.

Frankreich - Rumänien: die Fakten
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Frankreich - Rumänien: die Fakten

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Foto: ap, AF FP

Beim Gastgeber kribbelt's. Wer kennt das nicht? Kurz vor dem Beginn der Party ist die Spannung besonders groß. Hält das Wetter? Reicht das Bier? Sind die Gäste in Stimmung? Der Druck, der auf dem Gastgeber lastet, ist groß.

Bei einer Welt- oder Europameisterschaft steigt der Druck für die Gastgeber manchmal ins schier Unermessliche. Das haben zuletzt die Brasilianer zu spüren bekommen. Bei der WM 2014 im eigenen Land waren sie nicht nur Gastgeber, sondern auch Favorit. Der Titelgewinn war ein Muss. Der Wille war sicherlich da, doch Kopf und Beine spielten nicht mit. Brasilien brach unter der Last im Halbfinale zusammen. Das 1:7 gegen Deutschland war ein Zusammenbruch, der in die Fußball-Geschichtsbücher eingegangen ist, keine Niederlage.

Heute beginnt die Europameisterschaft. Frankreich ist Gastgeber und steht unter Druck - das Land ob der angespannten Sicherheitslage, die Mannschaft auf dem Rasen. Damit das Fußball-Fest im ganzen Land auch bis zum Endspiel ausgekostet werden kann und die Stimmung nicht abflaut, muss die Équipe tricolore treffen, punkten und siegen. Zunächst heute im Eröffnungsspiel gegen Rumänien (21 Uhr/Live-Ticker), aber selbstverständlich auch in den beiden weiteren Gruppenspielen gegen Albanien und die Schweiz. Am 10. Juli will Frankreich dann im großen Finale von Paris den dritten großen internationalen Titelgewinn feiern - nach der Weltmeisterschaft 1998 im eigenen Land und der Europameisterschaft 2000 in den Nachbarländern Belgien und Niederlande.

Um das große Ziel zu erreichen, haben die streitlustigen Franzosen alle Themen zum Tabu erklärt, die für Missstimmung sorgen und den sportlichen Erfolg gefährden könnten. Die Erpressungs-Affäre von Torjäger Karim Benzema, der von Trainer Didier Deschamps ausgemustert wurde, woraufhin dessen Haus mit der Aufschrift "Rassist" beschmiert wurde, ist ad acta gelegt. Auch die Ausfälle der Defensivspieler Raphael Varane, Mamadou Sakho oder Jeremy Mathieu sind kein Thema mehr. Deschamps, der vor vier Jahren das Amt von Laurent Blanc übernahm, konzentriert sich mit seinen Spielern ganz auf das Turnier. "Seit zwei Jahren denke ich an den 10. Juni 2016", sagt er und verspürt dabei keinerlei Druck. Er hat ihn nicht nur schlicht verdrängt, sondern behauptet: "Die Mannschaft und ich kennen keinen Druck. Druck ist negativ." Und das passt nun einmal nicht ins schöne Bild der Freude am Fußball.

Um das Bild der vollkommenen Harmonie weiter zu optimieren und alle möglichen Störungen von außen auszuschalten, wird Antoine Griezmann seinen Vertrag bei Atletico Madrid vorzeitig um ein Jahr verlängern. Laut der französischen Sportzeitung "L'Equipe" wird der 25 Jahre alte Torjäger, der von Paris Saint-Germain, Real Madrid und Manchester United umworben wird, den bis 2020 laufenden Vertrag um ein weiteres Jahr verlängern. Griezmann, der im Champions-League-Halbfinale Bayern München mit seinem Gegentor den Traum vom Triple zerstörte, könnte einer der großen Stars bei der Europameisterschaft werden.

Diese Rolle könnte aber auch Paul Pogba übernehmen. Der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler von Juventus Turin ist ein Juwel, weshalb er natürlich auch auf der Wunschliste von Real Madrid und einigen englischen Klubs steht, denen er 100 Miliionen Euro wert sein soll. Trainer Deschamps stellt sich schützend vor ihn: "Paul ist nicht dazu da, um die Menge zu verzaubern."

Die Erwartungen sind groß, sie können nicht gedämpft oder gar negiert werden. Abwehrchef Laurent Koscielny fordert bei aller Vorfreude einen nüchternen, rationalen Umgang: "Wir müssen die Nerven bewahren. Wir dürfen nicht von den Emotionen überwältigt werden."

Das ist den Fans vorbehalten. Nach der bunten Eröffnungsfeier mit Musik, Tänzern, Pyro-Technik und der Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe muss die Équipe tricolore nicht zaubern, aber auf jeden Fall zum Turnierauftakt gegen Rumänien gewinnen. Deschamps und seine Spieler können kaum erwarten, dass die Party endlich beginnt, und haben sich viel vorgenommen. "Wir müssen starten wie Rennpferde, die aus der Box kommen, und sofort zu 100 Prozent da sein", sagt der Coach. Klingt nicht, als wolle er seine Spieler im Zaum halten. Er will sie laufen lassen. Zumindest in der Vorrunde sollte dieser Elan ausreichen, um in die K.o.-Runde zu stürmen. Und dann wird sich zeigen, ob der Druck steigt oder mit Hilfe einer schwungvollen Party schwindet.

(ths)
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