Gastgeber strahlt Ruhe aus Frankreich affärenfrei

Paris/Düsseldorf · Die französische Mannschaft ist in den vergangenen Jahren von Skandal zu Skandal gestolpert. Während der Heim-EM ist es ruhig geworden um die Equipe Tricolore. Das Team bündelt seine Kräfte für den Erfolg.

Pressestimmen zu Frankreich - Island: "Frankreichs Vulkan bricht aus"
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Frankreich - Island: Pressestimmen

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Foto: dpa, ks

Raymond Domenech steigt aus dem Bus, die Spieler bleiben sitzen. Der Nationaltrainer tritt vor die Journalisten, liest eine von den Spielern verfasste Mitteilung vor. In der erklären sie, dass sie das Training boykottieren werden. Die Suspendierung ihres Sturmkollegen Nicolas Anelka sei der Grund. Während der WM in Südafrika hat sich das angespannte Verhältnis zwischen Verband und Trainerstab auf der einen und Spielern auf der anderen Seite bis zum Eklat zugespitzt. Frankreich scheidet sang- und klanglos nach der Vorrunde aus.

Sechs Jahre ist dieser einschneidende Moment in der französischen Fußballgeschichte nun her. Der Ruf der Skandaltruppe verfolgt die Equipe Tricolore seither. Nun, bei der Heim-EM, wirkt es aber so, als hätte sie sich zusammengerauft. Bis auf einen kleineren Fauxpas von Paul Pogba bietet die Mannschaft von Trainer Didier Deschamps abseits des Rasens keine Angriffsfläche, vermittelt das Bild einer Einheit. Auch deshalb steht sie am Donnerstag im Halbfinale gegen Deutschland.

"Ich werde immer kritisiert", hatte Olivier Giroud kurz vor der EM in einem Interview gesagt. Die Fans hatten ihren Stürmer, der nun am 5:2-Viertelfinalsieg gegen Island mit zwei Toren großen Anteil hatte, zuvor im Testspiel ausgepfiffen. Giroud bekam den Groll der Fans ab, die kritisierten, dass Top-Angreifer Karim Benzema nicht nominiert wurde. Die Akte Benzema war das bisher letzte und sehr umstrittene Kapitel der französischen Skandalserie. Benzema soll an der Erpressung seines Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena mit einem Sexvideo beteiligt gewesen sein. Der Verband schloss Benzema von der EM aus. Die Verbannung des Franzosen mit algerischen Wurzeln wurde in der Diskussion auch als Vergrößerung der Kluft zwischen den Ethnien im Land verstanden.

Verband gegen Spieler

Immer wieder kam es in der Vergangenheit zum Duell Verband gegen Spieler. Franck Ribery verzichtete 2014 wegen Rückenschmerzen auf die WM, ließ sich von Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in München behandeln. Differenzen mit dem Verband waren die Folge, daraufhin beendete Ribery seine Nationalmannschaftskarriere. Samir Nasri handelte ebenso, weil er beleidigt war über die Nichtberücksichtigung für die WM in Brasilien. Seine Freundin sorgte per vulgärem Internetpost gegen Trainer Deschamps und das gesamte Land für den nächsten Eklat.

Im Juli 2016 atmet Frankreich endlich durch. Die Equipe steht im Halbfinale. Fast noch wichtiger: Der Gastgeber strahlt Ruhe aus. Zwar gibt es Diskussionen, diese beziehen sich aber rein auf den - nach Meinung des Volkes - noch verbesserungswürdigen Fußball. Die kleine Ausnahme bildet Paul Pogba. Das Aushängeschild der Truppe erschien verbotenerweise mit Badelatschen zum gemeinsamen Essen und wurde von Deschamps im Gruppenspiel gegen Albanien auf die Ersatzbank strafversetzt. Doch spätestens seit Pogbas Tor gegen Island scheint dieser Fehltritt, der ohnehin eine Lappalie war, vergessen.

"Das Team ist der Star"

Einer, der Pogba öffentlich verteidigt, ist Patrice Evra. Der 35-Jährige spielte eine Hauptrolle beim Skandal in Südafrika. Nach einem Streit mit dem Fitnesstrainer wurde er 2010 zum Rädelsführer der Revolte. Jetzt sagt der Außenverteidiger Sätze wie: "Wenn jemand der Star sein will, dann reden wir mit ihm und zeigen ihm, wo sein Platz ist. Das Team ist der Star, nicht ein Einzelner." Es wirkt, als habe das französische Team kapiert, dass es in einem Turnier wichtig ist, seine Kräfte auf dem Platz zu bündeln.

(erer)
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