EM im eigenen Land Die Heimspiel-Spezialisten

Clairefontine/Düsseldorf · Die beiden jüngsten Turniere in ihrer Heimat hat die französische Nationalmannschaft gewonnen: die WM 1998 und die EM 1984. Auch jetzt gelten die Franzosen wieder als einer der aussichtsreichsten Titelanwärter.

Das sind die Jungstars der EM 2016
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Foto: afp, JFM/QL

Die Hand Neuers war schuld. Wenn der Torhüter der deutschen Nationalmannschaft in der Nachspielzeit nicht blitzartig seinen rechten Arm in die Höhe gerissen und damit Karim Benzemas Schuss entschärft hätte, ja was wäre dann gewesen?

Es wäre wohl zur Verlängerung gekommen im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Brasilien vor zwei Jahren. Vielleicht hätten sich die Franzosen durchgesetzt. Es hätte Deutschlands märchenhaftes 7:1 gegen Brasilien im Halbfinale dann nicht gegeben, nicht das Götze-Tor im Endspiel, nicht den vierten Stern auf dem Trikot.

Die Erinnerung an dieses Viertelfinale, das die Mannschaft von Trainer Jogi Löw durch einen Treffer von Mats Hummels mit 1:0 gewann, reicht, um deutlich zu machen, was von diesen Franzosen bei der Europameisterschaft zu erwarten ist. Noch dazu weil das am Freitag für sie mit der Partie gegen Rumänien beginnende Turnier in ihrer Heimat stattfindet. Zuletzt holten sie sich zweimal vor eigenem Publikum den Pokal. 1998 führte Zinedine Zidane die Equipe tricolore zum Weltmeistertitel, 1984 war es Michel Platini, der als Torschützenkönig und Stratege maßgeblichen Anteil am EM-Erfolg hatte.

Während Zidane seinen Ruhm nun als Trainer mehrt (er führte Real Madrid zum Champions-League-Sieg), ist Platini in Ungnade gefallen. Der Weltverband hat den Uefa-Präsidenten gesperrt, weil der eine dubiose Millionenzahlung vom früheren Fifa-Präsidenten Michel Platini erhalten hat. Karim Benzema, der vor zwei Jahren an Manuel Neuer scheiterte, ist übrigens auch nicht dabei, wenn die Franzosen am Freitag gegen Rumänien das Turnier eröffnen. Eine schmuddelige Erpressungsaffäre, deren Opfer sein Mitspieler Mathieu Valbuena war, trug ihm die Verbannung ein. Auf Valbuena verzichtete Trainer Didier Deschamps auch gleich.

Der frühere Weltklassespieler im defensiven Mittelfeld - Kapitän des Weltmeisterteams 1998 - versucht, keine Unruhe aufkommen zu lassen. Die Equipe ist ein fragiles Gebilde. Wohin das führen kann, zeigte sich bei der WM 2010 in Südafrika, als sich die Spieler fast prügelten und das Training boykottierten. Franck Ribéry, einer der vermeintlichen Anführer des Aufstandes, gehört freilich nicht zum Aufgebot. Er war 2014 zurückgetreten, seine zarten Avancen auf eine Rückkehr in die Nationalmannschaft wies Didier Deschamps kurzerhand zurück. Gegen den Trainer ist Benzema nun in die Offensive gegangen. Er behauptete, der Nationaltrainer habe sich dem rassistischen Teil Frankreichs gebeugt und den aus Nordafrika stammenden Stürmer deshalb nicht nominiert. Nun wurde Deschamps' Wohnhaus in Concarneau in der Bretagne mit dem Wort "Rassist" beschmiert.

Griezmann der große Hoffnungsträger

Als nicht gerade pflegeleicht galt früher auch der derzeit größte Hoffnungsträger der Franzosen, Antoine Griezmann. Vor vier Jahren stahl sich der heute 25 Jahre alte Offensivspieler von Atletico Madrid aus dem Trainingslager der U21. Die Folge: eine 14-monatige Sperre durch den Verband. An schillernden Figuren hat es dem französischen Fußball noch nie gemangelt.

Bei der WM vor zwei Jahren war Griezmann die große Entdeckung. Und seitdem, glaubt Deschamps, ist seine Mannschaft noch etwas besser geworden. Nicht zuletzt weil der Münchner Kingsley Coman und Paul Pogba von Juventus Turin zu stabilen Größen geworden sind. "Der Abstand zu Deutschland ist nach der Weltmeisterschaft in Brasilien geringer geworden. Aber er ist immer noch da", betont der Nationaltrainer.

Doch der Heimvorteil wiegt schwer. Siehe 1984. Und siehe 1998.

(bei)
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