Bochums Trainer Verbeek im Interview "Ich sehe doch nicht so verbraucht aus wie Keith Richards"

Bochum · Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, als Gertjan Verbeek zum Interview vor seinem Trainerbüro beim VfL Bochum an der Castroper Straße erscheint. Der 53-Jährige geht als erstes zum Kühlschrank und macht sich ein Schälchen Obstsalat fertig.

 RP-Redakteur Gianni Costa hat Trainer Gertjan Verbeek in Bochum besucht.

RP-Redakteur Gianni Costa hat Trainer Gertjan Verbeek in Bochum besucht.

Foto: Gianni Costa

"Ich esse um die Uhrzeit nie etwas anderes", sagt der Niederländer und setzt sich auf den Hocker am Stehtisch. Vor dem Viertelfinale im DFB-Pokal gegen den FC Bayern München (Mittwoch, ab 20.30 Uhr/Live-Ticker) ist Verbeek so gar nicht knurrig, wie man über ihn sagt, sondern ausgesprochen nett.

Herr Verbeek, sind Sie der letzte Rock'n'Roller im Fußball-Geschäft?

Gertjan Verbeek Ich bin wie ich bin. Ich gehe meinen eigenen Weg, es ist mein Weg. Was andere Leute davon halten, hat keinen Einfluss auf mich.

Es gibt ein Bild aus der Kategorie "Bei der Geburt getrennt", dass Sie mit Keith Richards, dem Gitarristen der Rolling Stones zeigt. Einverstanden mit dem Vergleich?

Verbeek (lacht) Überhaupt nicht. Ich sehe doch nicht so verbraucht aus wie der Kerl. Der hat nur Drogen genommen und was weiß ich noch alles. Außerdem ist er deutlich älter. Ich bin auch schon mit Rod Stewart verglichen worden. Schrecklich.

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Foto: dpa/Christian Charisius

Musikalisch so gar nicht Ihr Ding?

Verbeek Ich bin irgendwie in der Vergangenheit hängengeblieben. Ich höre alles zwischen 1960er- und 1980er-Jahre. Mich faszinieren die Beatles, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Deep Purple. Ich habe selbst mal versucht, ein Instrument zu spielen, habe aber nach ein paar Versuchen aufgegeben.

Was interessiert Sie?

Verbeek: Sport. Und Häuser bauen.

Sie bauen Häuser?

Verbeek Ja. Ich liebe Architektur. Ich interessiere mich unheimlich für Geschichte, wandere durch alte Straßenzüge und gucke mir die historischen Gebäude ganz genau an. Und dann gibt es eben ein paar Projekte, die ich selbst in Holland realisiert habe, von den Plänen bis zur Fertigstellung.

Ist es immer leicht, Gertjan Verbeek zu sein?

Verbeek Nee. Ich bin auch manchmal schwierig für mich selbst.

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Ärgern Sie sich manchmal, wenn Sie merken, in einer Situation haben Sie falsch reagiert?

Verbeek Wenn ich über etwas nachgedacht habe, dann werde ich später nie sagen, das hätte ich so nicht machen sollen. Ob das Ergebnis am Ende gut oder schlecht ausgeht: Es ist wichtig, eine Entscheidung aus Überzeugung zu treffen — dann nehme ich es mir auch selbst nicht übel, wenn etwas mal daneben geht. Anders sieht es aus, wenn etwas aus der Emotion heraus passiert. Dann habe ich auch keine Probleme, mich für meine Art zu entschuldigen. Ich bin einer, der immer seinen Weg gegangen ist. Manchmal habe ich mir deshalb gehörig den Kopf gestoßen, dann heißt es: aufstehen und weiter. Wenn man fällt, steht man wieder auf. Ganz einfach.

Blicken Sie ungern zurück?

Verbeek Überhaupt nicht. Es wäre nicht klug, sich nicht mit Dingen zu beschäftigen, die in der Vergangenheit passiert sind. Nur so entwickelt man sich und macht dieselben Fehler nicht noch einmal.

Sind Sie im privaten Umfeld auch ein Knurrer?

Verbeek Vom Charakter bin ich immer derselbe. In der Persönlichkeit entwickelt man sich. Ich bin immer ein Optimist, sonst könnte ich meinen Job nicht machen. Sehen Sie, in meinem privaten Umfeld muss ich mich fast nie verteidigen, als Trainer muss ich das ständig. Ich muss ständig erklären, warum ich dieses und jenes mache. Das Problem im Fußballgeschäft ist doch, dass man zum Teil von Leuten beurteilt wird, die sich überhaupt nicht mit deiner Arbeit beschäftigen. Damit habe ich ein Problem.

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Stört es Sie, wenn von außen Druck ausgeübt wird?

Verbeek Es interessiert mich kein bisschen. Es gibt rund um einen Verein einen inneren und einen äußeren Kreis. Mich kümmert nur, was wir hier drinnen machen. Was die Medien und die Fans angeht, die dürfen ihr Ding machen.

Aber manchmal beeinflusst doch der eine den anderen Kreis.

Verbeek Das sehe ich nicht so. Ich habe hier eine Verantwortung, und die bin ich auch bereit zu übernehmen. Was andere Leute machen, liegt in deren Verantwortung. Darauf habe ich keinen Einfluss.

Sie bilden als Trainer Sportler aus. Wäre es auch für Sie denkbar, Wissen nicht in einem Verein, sondern einem Unternehmen zu vermitteln?

Verbeek Das denke ich schon. Jeder weiß, dass ich verschiedene Zertifikate habe, um auch in anderen Sportarten als Trainer zu arbeiten. Sport ist mein Schwerpunkt, aber ich könnte sicher auch in einer Firma als Manager arbeiten.

Das muss man sich um Sie ja keine Sorgen machen.

Verbeek (grinst) Sie können ganz beruhigt sein.

Wann sind Sie als Trainer mit Ihrer Arbeit zufrieden?

Verbeek Wenn ich sehe, dass sich meine Mannschaft weiterentwickelt. Wenn sie versucht, unseren Plan umzusetzen. Ich versuche meine Spieler natürlich so zu beeinflussen, dass wir erfolgreich sind. Es geht jeden Tag darum, besser zu werden. Wenn man stillsteht, dann wäre ich beim VfL Bochum an der falschen Stelle.

Ist Bochum ausreichend in Bewegung?

Verbeek Ich denke schon. Als ich hier vor einem Jahr angefangen habe, war das noch eine andere Ausgangssituation. Es war nicht einfach, vieles hier ist im Umbruch. Wir haben seither einiges verbessert, die Betreuung der Spieler zum Beispiel. Sie sollen sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen. Die Zuschauerzahlen haben sich aber auch verbessert, die Punktzahl auch. Also das sind schon einige Fortschritte.

Wie viel Zeit am Tag beschäftigen Sie sich eigentlich mit der reinen Trainingslehre?

Verbeek (lacht) Wenn ich mich an meine eigene Zeit als Spieler zurückerinnere, da hatte ich einen Coach, der kam eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn, hat sich umgezogen, uns ein wenig trainiert, hinterher noch einen Kaffee getrunken und ist dann wieder gefahren. So ging das vier Mal die Woche — und wir haben Fußball gespielt. Es gab keine Videoanalyse, keine Herzfrequenzmessung. Das war eben damals so. Heutzutage hat sich das alles verändert. Ich fange, je nachdem, mittags an und bleibe dann bis zum Abend am Trainingsgelände. Es gibt Gespräche mit meinem Team, dem Vorstand, Medientermine, ich analysiere Datenmaterial, rede mit Spielern und, und, und.

Wie schwer fällt es einem Spieler zu sagen, dass er nicht spielt, wenn er alles richtig gemacht hat?

Verbeek Das ist gar nicht schwer. Ich habe an jedem Spieltag elf Arbeitsplätze zu verteilen. Dafür habe über 20 total motivierte Bewerber, die alle glauben, sie seien dafür geeignet. Enttäuschungen bleiben dabei nicht aus. Denn: Nicht die elf besten Spieler bilden das beste Team. Du musst die richtige Mischung finden, um erfolgreich zu sein. Ich sage nicht: Du spielst nicht, sondern ich versuche, zu vermitteln, warum ich mich so entschieden habe.

Wie wichtig ist Disziplin für Sie?

Verbeek Das ist die Basis von allem. Da ist in erster Linie jeder selbst gefragt. Wenn man einen Vertrag beim VfL unterschreibt, dann ist — vielleicht abgesehen von der eigenen Familie — der VfL alles was zählt. Ich treffe alle meine Entscheidungen immer nur zum Wohle des Klubs. Wenn es dem Verein gut geht, dann zahlt sich das auch für den Spieler aus. Weil er eine Prämie bekommt, weil er sich für einen besseren Vertrag empfehlen kann. Oder weil er für andere, höher klassige Vereine interessant wird.

Am Mittwoch empfängt Bochum den FC Bayern München. Wie viel Angst haben Sie, vom deutschen Rekordmeister auseinandergenommen zu werden?

Verbeek Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Sie führt oft zur Panik, und panische Menschen handeln konfus. Wir haben einen Plan, wie wir gegen die Bayern spielen und sie besiegen wollen.

Der VfL Bochum wurde lange als "graue Maus" und "Fahrstuhlmannschaft" bezeichnet — gibt es solche Wörter im holländischen Vokabular eigentlich auch?

Verbeek Eine "graue Maus" ist eine "grise Muis". "Fahrstuhlmannschaft"? Lass mich überlegen. Am ehesten fällt mir da der SC Volendam ein. Volendam ist eine Kleinstadt in den Niederlanden, eine frühere Hafenstadt. Eine selbstständige Gemeinde, wo sich sonst niemand hin verirrt. Und der örtliche Verein, der SC Volendam, geht auch immer rauf und runter in den Ligen. Aus der Stadt kommen übrigens auch viele bekannte holländische Musiker, "Nick & Simon" und "BZN" zum Beispiel.

Das Gespräch führte Gianni Costa.

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