Je seltener der Erfolg, desto schöner Was Fortuna ausmacht

Düsseldorf · Es bedarf besonderer Eigenschaften, um diesem außergewöhnlichen Verein über Jahrzehnte die Treue zu halten. In die rot-weiße Wagenburg passt nur hinein, wer eines verinnerlicht hat: Erfolge machen viel mehr Spaß, wenn sie seltener sind.

 Maximilian Beister bejubelt 2012 sein Tor in der Relegation.

Maximilian Beister bejubelt 2012 sein Tor in der Relegation.

Foto: afp, PATRIK STOLLARZ

Glücksgöttin? Von wegen. Zwar weist der Volksmund der wankelmütigen Römerin häufig diesen Beinamen zu, doch wissen es zwei Gruppen von Menschen viel besser: Althistoriker und Düsseldorfer Fußballfans. Fortuna, so haben sie lernen müssen, ist die Schicksalsgöttin Roms. Und so sollte sich auch niemand wirklich wundern, dass die Geschichte des Fußballvereins aus der NRW-Landeshauptstadt, der ihren Namen trägt, weit weniger von glücklichen als von schicksalshaften Momenten geprägt ist.

Es bedarf daher besonderer Eigenschaften, wenn man ein Anhänger dieser Düsseldorfer Fortuna sein will, ohne dauerhaft den Mut und den Glauben an das Gute zu verlieren. Sicher, auch der rot-weiße Fan trachtet nach Siegen und Erfolgen, das unterscheidet ihn — und natürlich auch sie — nicht wesentlich von Kollegen aus anderen Klubs.

Das Entscheidende bei den echten Fortunen ist, dass sie selbst in den Augenblicken größten Jubels, höchster Zufriedenheit und tief empfundenen Glücks immer damit rechnen, dass doch noch alles schief gehen kann. Oder vielleicht sogar muss.

Fortunas Freunde sind deshalb stets bereit, den Moment zu genießen. Den Moment, in dem alles wie am Schnürchen läuft, in dem sie dem sportlichen Schicksal endlich wieder ein Schnippchen geschlagen haben. Der Abend des 24. Oktober soll wieder so ein Moment werden: Bundesligist Borussia Mönchengladbach kommt zum Pokalduell in die Arena, ist der turmhohe Favorit, der an rein sportlichen Maßstäben gemessen gegen den heimischen Zweitligisten gar nicht verlieren kann.

Doch genau diese Ausgangssituation ist es, die der Außenseiter und seine Fans mögen. Fortunas schlimmste Augenblicke des Scheiterns kamen in der Geschichte schließlich immer dann, wenn doch eigentlich gar nichts hätte schiefgehen können. Die vermeintlich Großen vors Schienbein zu treten, das gelang hingegen ziemlich oft.

Doch ist es wirklich der Name, der den Düsseldorfer Klub so prägte? Wo er doch im Grunde gar nichts zu tun hat mit der launischen römischen Göttin, sondern lediglich auf dem Pferdefuhrwerk einer Bäckerei geschrieben stand — genau in dem Moment, als die Gründerväter des neuen Vereins gerade über einen Namen grübelten. Tatsache ist, dass fast jeder große Erfolg unweigerlich etwas nach sich zog, was ihn vermieste oder zumindest schmälerte. Da wird Fortuna tatsächlich einmal Deutscher Meister — und prompt ist es ausgerechnet im Jahr 1933, so dass viele Fotos vom Endspiel durch den Hitlergruß der Teilnehmer verunstaltet sind.

Da erreichen die Düsseldorfer von 1938 bis 1978 fünfmal das DFB-Pokalfinale — und verlieren es jedes Mal. Da wird 1963 die Bundesliga gegründet — und Fortuna ist wegen des der Qualifikation zugrunde liegenden Punkteschlüssels nicht dabei. Da liefert sie 1979 dem großen FC Barcelona ein begeisterndes Europapokalfinale in Basel, verliert denkbar knapp 3:4 nach Verlängerung — und läutet doch bereits den stetigen Absturz ein. Ausgerechnet im größten Höhenflug, wegen der schweren Verletzungen der Leistungsträger Dieter Brei und Gerd Zimmermann und des wenig später stattfindenden Weggangs von Starstürmer Klaus Allofs.

Fortunas Anhänger nehmen es hin. Weil es einfach dazugehört in Düsseldorf. Weil sie schon von den Generationen vor ihnen vermittelt bekommen, dass sie etwas anders sind als die Fans der Bayern, der Dortmunder, Gladbacher und Kölner. Ihr Klub gewinnt eben nicht immer, in etlichen Jahren nicht einmal oft — aber sie lieben ihn dennoch. Oder gerade deswegen. Weil es einfach viel mehr Spaß macht, die etwas selteneren Erfolge zu feiern. Und weil es besonders viel Spaß macht, diese rot-weiße Gemeinschaft zu pflegen, diese Wagenburg inmitten des protzigen Fußballwestens.

Natürlich schmerzt es, wenn viele Düsseldorfer Fußballtalente nicht so lokalpatriotisch denken und zu Mönchengladbach, Leverkusen oder Schalke wechseln. Natürlich schmerzt es auch, wenn der Sitznachbar in der Schule, die Type am Nebentisch im Stehcafé oder der Arbeitskollege, obgleich selbst Düsseldorfer oder Düsseldorferin, sich lieber an den Mainstream hängen. Weil sie lieber erfolgreich sind. Dortmund und Bayern heute, Gladbach in dessen großen 1970ern — da sind und waren eben mehr Siege zu holen als mit Fortuna. Doch die Wagenburg- Mentalität gegen die Event-Fans schweißt die Rot-Weißen nur noch enger zusammen. Die Toten Hosen, selbst Insassen dieser Wagenburg, haben dazu treffend getextet: "Selbst wenn wir Letzter sind und dauernd verlier'n, es wird trotzdem nie gescheh'n, dass auch nur einer von uns mit euch tauschen will."

Aktuell ist Fortuna allerdings gar nicht Letzter, nicht einmal annähernd. Es ist also wieder mal Genusszeit in Düsseldorf, und das gilt — unabhängig vom Ergebnis — auch für das Pokalderby. Jetzt bekennen sich wieder mehr Menschen zu Fortuna, und die, die dies auch in den ganz miesen Zeiten getan haben, nehmen die Entwicklung mit gönnerhaftem Lächeln zur Kenntnis. Und sie erzählen sich intern von den Viertligazeiten, die im Nachhinein gar nicht so schlecht waren, weil sich der zuvor völlig marode Klub von Grund auf neu strukturieren musste und eine runderneuerte, verlässlichere Fanbasis schuf.

Sie erzählen vom Mythos-Spiel 2003, als Fortuna kurz vor der Insolvenz stand und dieses von der Düsseldorfer Sportpresse organisierte Match zwischen der damaligen Viertliga-Mannschaft und den Aufstiegshelden von 1995 die Wende zum Besseren brachte. Mit den Einnahmen konnte sich Fortuna den ersten Vertrag von "Lumpi" Lambertz leisten, der Symbolfigur für das Comeback des von vielen totgeglaubten Vereins. "Wunder gescheh'n" lief damals während der Ehrenrunde über die Stadionlautsprecher. Dass die Düsseldorfer nun wieder ans Tor zur Bundesliga klopfen, ist angesichts des Niedergangs vergleichbarer Klubs wie Rot-Weiss Essen oder Wuppertaler SV wirklich ein sportliches und wirtschaftliches Wunder.

So wie Bayern oder Dortmund wird Fortuna dennoch nie werden, nicht einmal wie Schalke. Es würde den besonderen Charakter dieses Vereins und seiner Anhänger aber auch nur stören. Wie sollten sie dann noch voller Selbstironie von sich behaupten: "Wir sind Fortuna Düsseldorf, wir können alles!" Nein, die Angst vor dem Scheitern, der Haken an der Geschichte, der Stolperstein auf dem Erfolgsweg, das alles macht Fortuna aus. So wie das Feiern des Moments, in dem alles gelingt. Die Weisheit des Kabarettisten Dieter Nuhr, Fortune aus tiefstem Herzen, bleibt das Motto all jener, die immer auf diesen Moment hoffen: Wer Fortuna-Fan ist, braucht das Leben nicht zu fürchten.

(jol)
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