Public Viewing 1500 Verletzte bei Massenpanik in Turin

Turin · Was aus Angst vor Terror passieren kann, zeigt sich in Turin. Dort geraten Fans beim Public Viewing während des Champions League-Finals in eine Massenpanik. Die Behörden müssen sich kritischen Fragen stellen.

1500 Verletzte bei Massenpanik in Turin
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Foto: rtr, MR

Überall Scherben, Gläser, Schuhe und Taschen. Der Platz San Carlo im Zentrum von Turin sollte am Samstagabend eigentlich Schauplatz einer großen Party werden. Doch beim Public Viewing des Champions-League-Finals zwischen dem Heimatklub Juventus Turin und Real Madrid gibt es auf einmal einen Knall oder einen anderen Lärm — und tausende Menschen rennen in Angst und Panik davon. Sie fallen zu Boden, wissen nicht wohin, denken an einen Anschlag und treten übereinander, aufeinander. Menschen flüchten sich auf Kioskdächer, suchen Freunde und Kinder, die im Gedränge verloren gegangen sind.

Ein Siebenjähriger in Lebensgefahr

Am Ende dieser Chaos-Nacht sind es nach Medienberichten mindestens 1500 Verletzte. Ein sieben Jahre alter Junge schwebt demnach in Lebensgefahr. Die Staatsanwaltschaft Turin leitete Ermittlungen ein. Dies gab Präfekt Renato Saccone am Sonntag bekannt. Vermutlich war während des Spiels — das Juventus mit 1:4 verlor — auch eine Absperrung umgefallen, was zu dem Unglück beigetragen haben soll. Andere erzählen, jemand habe "Bombe" gerufen. "Alle schrien, "lauft weg, lauft weg". Menschen lagen auf dem Boden, es war schrecklich", sagte ein Fan dem TV-Sender "Sky". Ein anderer sagte der Zeitung "La Stampa": "Wir sind über die Leute gerannt, die am Boden lagen. Wir haben einigen geholfen, aber die Masse hat gedrückt." Am Sonntag vernahm die Turiner Polizei zwei Jugendliche, die verdächtigt werden, die Massenpanik ausgelöst zu haben. Die beiden waren zuvor durch die Bilder von Videoüberwachungsanlagen identifiziert worden.

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"Ich bin erschüttert, es erinnerte an die Katastrophe von Heysel", zitierte die Nachrichtenagentur Ansa einen Fan. Beim Finalspiel des Europapokals der Landesmeister im Mai 1985 zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin im Heysel-Stadion waren in Brüssel 39 Menschen gestorben.

In Turin ging die Panik zwar vergleichsweise glimpflich aus. Aber wie konnte so etwas überhaupt passieren — vor allem in Zeiten, in denen die Angst vor Terroranschlägen allgegenwärtig ist? Die Behörden müssen sich kritischen Fragen stellen. Gab es wirklich keine Fluchtwege, wie Betroffene berichteten? Immerhin war es ein vorab organisierter und angemeldeter Massenevent mit rund 30.000 Menschen. Müssten da die Kontrollen nicht besonders scharf gewesen sein? Und wieso lag der ganze Platz voller Scherben, wenn bei Veranstaltungen dieser Art eigentlich nur Plastikgläser zugelassen sein sollten?

Keine Durchsuchungen von Taschen?

"Sehr viele Verletzte haben sich an Glas geschnitten, und das hätte leicht vermieden werden können", sagte der Gesundheitsbeauftragte der Stadt, Antonio Saitta. Fans erzählten, dass Schwarzhändler überall unbehelligt Bier in Flaschen verkaufen konnten. Hinzu kommt: Wenn wirklich ein Böller oder etwas ähnliches die Panik ausgelöst hat, wie konnte den jemand in die Menge bringen? Gab es keine Durchsuchungen von Taschen?

"Es gab nur Kontrollen, was gefälschte Merchandising-Produkte anging, aber keine Kontrollen, um den Flaschenverkauf und den ungeregelten Zugang zu verhindern", schrieb ein Nutzer auf Twitter an Turins Bürgermeisterin Chiara Appendino, die sich erschüttert über die Ereignisse gezeigt hatte. "Eine Schande", schrieben andere und verlangten ihren Rücktritt.

Natürlich begann prompt die politische Debatte. Der Senator Alberto Airola der Fünf-Sterne-Partei, der die Bürgermeisterin angehört, sprach von einer Falschmeldung was die hohe Zahl der Verletzten angehe. Man wolle so nur die gute Arbeit der Partei in Turin degradieren.

Am Samstag sind es zwei unterschiedliche Städte und zwei unterschiedliche Nachrichten, die doch miteinander zusammenhängen: In London kommt es zu einem neuen Terrorangriff — in Turin entstand die Panik auch, weil die Menschen genau Angst davor hatten. "Jeden Tag wacht man mit neuen Schreckensnachrichten auf. Wenn es keinen Anschlag gab, dann fügen wir uns aus Angst davor selbst Schaden zu", sagt die Turinerin Gabriella der Deutschen Presse-Agentur am Telefon.

(can/csi/dpa)
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