Kein "Gralshüter", aber große Hilfe Schiedsrichter werden für den Videobeweis geschult

Köln · Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Deutschen Fußball Liga (DFL) forcieren die Einarbeitung mit dem Video-Assistenten. Vor der Einführung des Video-Beweises in der Bundesliga werden die Video-Schiedsrichter geschult.

 Ein Blick hinter die Kulissen des Video-Assistenten.

Ein Blick hinter die Kulissen des Video-Assistenten.

Foto: dpa, mku fgj

Für Tobias Stieler ist der Fall klar. "Wäre ich hier Schiedsrichter, würde ich gerne korrigiert werden wollen", sagt der Fifa-Referee. Manuel Gräfe, Deniz Aytekin und Daniel Siebert stimmen ihm zu. Der eine zögerlich, der andere energisch. Doch sie alle würden die falsche Elfmeter-Entscheidung ihres Kollegen Markus Schmidt im Spiel Ingolstadt gegen Bremen gerne korrigieren.

Hellmut Krug gibt seinen vier Unparteiischen in der Sache recht. "Diesen Elfmeter gibt man eher nicht", sagt der Schiedsrichter-Manager der Deutschen Fußball Liga (DFL). Aber die Fehlentscheidung war dem Projektleiter nicht klar genug für einen Eingriff des Video-Assistenten: "Denn da war nicht nichts. Und wir wollen nur bei hundertprozentigen Fehlentscheidungen eingreifen." Man einigt sich auf einen Mittelweg, den man laut Krug "nicht häufig gehen will". Man würde den Schiedsrichter in die Review Area am Spielfeldrand bitten, damit er sich dort die Szene selbst ansehen kann.

Thema Videobeweis ist komplex

Dieses Beispiel aus der Schiedsrichter-Schulung am 30. Spieltag zeigt, wie komplex das Thema Videobeweis ist. Ab der kommenden Saison werden alle Spiele der ersten Liga von einem TV-Assistenten überwacht. Der kann mit Hilfe von bis zu 17 Kamera-Einstellungen knifflige Entscheidungen ansehen - pro Spiel sind es durchschnittlich zwei bis sechs - und den Kollegen im Stadion darauf hinweisen.

Der frühere Fifa-Schiedsrichter Krug ist in den vergangenen Jahren längst vom Gegner zum Befürworter des technischen Hilfsmittels geworden. Und unter den aktuell 23 Erstliga-Referees gebe es gar keinen, der nicht dafür wäre, betont Aytekin. "Es hilft uns doch, wenn falsche Entscheidungen korrigiert werden", sagt er. Der 39-Jährige weiß aber auch, dass Diskussionen bleiben werden. "Es gibt Situationen, die nicht eindeutig sind. Es wird weiterhin Fehler geben. Und es wird auch manche geben, die bei anderer Wahrnehmung sagen: Jetzt hat er den Videobeweis und sieht es immer noch nicht."

Unglückliche Saison 2015/16 für die Schiedsrichter

Der einzige Deutsche, der die technischen Hilfsmittel schon unter Wettkampfbedingungen getestet hat, ist Stieler. Er assistierte Felix Zwayer beim Länderspiel zwischen Frankreich und Spanien. Und griff gleich zweimal ein, beide Male zu Ungunsten der Gastgeber. Beide Entscheidungen waren nach der Korrektur richtig, das Projekt galt als gelungen. Die Überwindung, als Stimme aus dem Off einzugreifen, ist aber durchaus groß. "Man braucht Mut", sagt Stieler. "Davonstehlen gilt nicht." Unter den Schiedsrichtern gebe es aber keinerlei Befindlichkeiten: "Ich werde lieber korrigiert, als dass ich damit leben muss, vielleicht das Spiel entschieden zu haben."

Das passierte in der für die Schiedsrichter unglücklich verlaufenen Saison 2015/16 öfter als es ihnen lieb war. Entscheidungen werden durch das schnellere Spiel schwerer, Fehler durch unzählige Kameras gnadenlos dargelegt. "Und im Stadion weiß via Handy eine Minute später jeder Bescheid", sagt Aytekin. Unlogisch deshalb, dass die Schiedsrichter dieses Know-How bisher nicht nutzten.

"Es wird weiterhin Diskussionen geben im Fußball"

90 klare Fehlentscheidungen habe es bis inklusive des 29. Spieltags in der Bundesliga gegeben, berichtet Krug. 65 davon wären via Videobeweis zu verhindern gewesen. In den fünf Spielen vom Samstag sind es zwei. In München wurde ein "sonnenklarer" Elfmeter für die Bayern übersehen. Und Ingolstadt hätte kurz nach dem fragwürdigen Strafstoß einen klaren bekommen müssen. Schmidt hatte ein Foul fälschlicherweise außerhalb des Strafraums wahrgenommen. "Im Stadion schwer zu sehen, aber mit den TV-Bildern in Sekundenschnelle zu erkennen", sagt Krug. "Hier hätten wir eingegriffen."

Anders als bei einer ebenfalls fraglichen Strafraum-Situation in Hamburg. Der dieses Spiel in der Simulation betreuende Gräfe möchte eingreifen. "Mir reicht das nicht", sagt Krug. Auch das sei eher ein Elfmeter, aber kein klarer Fehler. "Das ist das Paradebeispiel", sagt Gräfe. "Der Gralshüter kann der Videobeweis nicht sein."

Man müsse keine Angst haben, sagt deshalb auch Krug allen, die fürchten, das Wesen des Spiels werde zerstört. "Es wird weiterhin Diskussionen geben im Fußball. Aber die klaren Fehlentscheidungen können wir in Zukunft vermeiden."

(dpa)
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